Jesus begann, ihnen Gleichnisse zu erzählen:
BasisBibel
»Ein Mann legte einen Weinberg an.
Er baute eine Mauer darum, hob eine Grube als Kelter aus und errichtete einen Wachturm.
Dann verpachtete er ihn und ging auf Reisen. Als es an der Zeit war, schickte der Besitzer einen Knecht zu den Pächtern.
Der sollte bei ihnen seinen Anteil vom Ertrag des Weinbergs abholen.
Aber sie packten den Knecht, verprügelten ihn und jagten ihn mit leeren Händen davon.
Daraufhin schickte der Besitzer noch einen Knecht.
Dem schlugen sie den Kopf blutig und beschimpften ihn.
Der Besitzer schickte noch einen weiteren Knecht. Den töteten sie sogar.
Er schickte noch viele andere. Die einen verprügelten sie, die anderen töteten sie.
Da blieb nur noch einer übrig: sein geliebter Sohn. Ihn schickte er als Letzten.
Er sagte sich: ›Vor meinem Sohn werden sie Achtung haben.‹
Aber die Pächter sagten zueinander: ›Er ist der Erbe. Kommt, wir töten ihn, dann gehört sein Erbe uns.‹
Sie packten ihn, töteten ihn und warfen seine Leiche hinaus vor den Weinberg.
Was wird der Weinbergbesitzer jetzt tun?
Er wird selbst kommen, die Pächter töten und den Weinberg anderen anvertrauen.
Ihr kennt doch die Stelle in der Heiligen Schrift:
›Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Grundstein geworden.
Der Herr hat ihn dazu gemacht. Es ist ein Wunder in unseren Augen.‹«
Neulich ist mir was passiert:
Es war alles super geplant. Ich war mit dem Flugzeug unterwegs. Die Rückreise hatte ich gut geplant. Von Hannover über Frankfurt nach Helsinki. Genug Zeit zum Umsteigen. Ich war frühzeitig am Flughafen, alles sah gut aus. Und dann kam die Durchsage: Die erste Maschine stark verspätet. Der Anschluss in Frankfurt war futsch.
Ich weiß nicht, ob ihr das kennt. Wir haben dann den ganzen Tag in Frankfurt auf einen Ersatzflug gewartet. Am Ende wurde es eine richtige Irrfahrt, bis ich tief in der Nacht endlich wieder in meinem finnischen Zweitzuhause angekommen bin.
Das hatte ich mir anders vorgestellt. Aber so ist das: Manchmal im Leben läuft es anders. Da kann man noch so viel planen und vorbereiten. Irgendwer macht einem den Strich durch die Rechnung. Ich bin sicher, alle hier haben solche Situationen schon erlebt. Ob in der Schule, auf der Arbeit oder in der Familie. Bei mehr oder weniger dramatischen Sachen.
Ähnlich geht es auch dem Besitzer eines Weinbergs in dem Gleichnis, das wir gerade gehört haben. Der hat auch alles sehr schön geplant.
Jesus beschreibt es detailliert: Der Besitzer legt den Weinberg an, baut eine Mauer darum um ihn zu schützen, hebt eine Grube als Kelter aus und errichtet sogar einen Wachturm. Das klingt sehr sorgfältig. Dann verpachtet er den Weinberg nach klaren Regeln. Ist ja heute auch so. Pachtverträge sind gerade hier bei uns auf dem Land nicht ungewöhnlich.
Aber als er jemanden losschickt, um seinen Anteil an der Ernte quasi als Pacht abzuholen, hat er die Rechnung ohne die Pächter gemacht. Die denken nämlich gar nicht daran, ihm was abzugeben. Den einen Boten vermöbeln sie, einen anderen bringen sie sogar um. Und selbst, als der Sohn vom Besitzer kommt, wird der auch getötet.
Was meint ihr, fragt Jesus die Leute, was wird der Weinbergbesitzer jetzt machen? Er wird die Pächter töten und den Weinberg anderen geben.
Puh, das ist ganz schön starker Tobak. Und ich muss ehrlich sagen, dass mir nicht ganz einleuchtet, warum Jesus dieses Gleichnis erzählt.
Gut, in der theologischen Wissenschaft ist man sich da ziemlich einig, was das Gleichnis bedeuten soll: Der Weinbergbesitzer ist Gott, der Weinberg steht für das Himmelreich und der Sohn ist Jesus. Das Gleichnis wird im Markusevangelium erzählt kurz vor der Leidensgeschichte, in der Jesus gefangen genommen, verurteilt und gekreuzigt wird. Durch die Jahrhunderte wurde das Gleichnis auch antijudaistisch ausgelegt – also gegen Menschen jüdischen Glaubens. Denn „die Juden“ wurden oft mit den Pächtern gleichgesetzt. Ihnen sollte Gott das Himmelreich wegnehmen und es anderen geben, den Menschen, die man früher als „Heiden“ bezeichnet hat.
Keine gute Interpretation, oder? Zumindest haben solche Lesarten auch den Boten bereitet, hin zur schrecklichen Vernichtung von Jüdinnen und Juden in Europa durch die Nazis.
Es kann ja schon sein, dass es hier um Gott und den Gottessohn geht. Aber es erschließt sich mir nicht. Nicht wirklich. Denn die Reaktion des Weinbergbesitzers passt nicht zu dem, was wir durch Jesus von Gott gelernt haben. Dem Besitzer im Gleichnis fällt wieder nur Gewalt ein. Gewalt erzeugt Gegengewalt. Diese Logik ist alt wie die Menschheit. Die Pächter töten Leute und werden dann selber getötet. Ehrlich, gerade in unserer Zeit, in der wir hier leben, kann ich das nicht gut ertragen. Es passiert so viel Gewalt.
Ein Jahr tobt der Krieg in der Ukraine. Und die Bilder von der Front, von zerbombten Städten, die gehen mir zu sehr unter die Haut, als dass ich jetzt hier sagen könnte:
Na gut, die Rechnung ist nicht aufgegangen. Dann wird Gott eben sein Himmelreich denen mit Gewalt wegnehmen, die seinen Sohn getötet haben und es anderen geben.
Überlegt mal: Wie geht das dann weiter? Ist ein Ende der Gewalt absehbar? Ich glaube nicht.
Wenn man den Weinbergbesitzer mit Gott gleichsetzt, dann entsteht ein Gottesbild, das ich echt problematisch finde. Dann handelt Gott wie alle anderen.
Wir können ja gerade in der Geschichte von Jesu Leiden, Tod und Auferstehung einen anderen Weg entdecken. Da ist ein Weg, mit dem Gott den scheinbar ewigen Kreislauf von Gewalt und Tod durchbricht. Jesus wird am Kreuz sterben. Das schon, ja.
Aber es wird kein weiteres Opfer verlangt. Keine Rache, keine Vergeltung. Durch diesen Tod am Kreuz soll endgültig Schluss sein!
Stattdessen setzt Gott Kräfte frei, die heilen. Auferstehung, das bedeutet dann: Trauernde werden getröstet. Menschen mit gebrochenem Herzen bekommen neuen Mut. Am Ende dieses Weges, den Jesus geht, da steht neues Leben.
Das fühlt sich an wie ein totaler Gegensatz zu dem, was wir momentan jeden Tag erleben und hören. Nicht nur in der weiten Welt der Nachrichten. Auch konkret im Alltag. In Konflikten, im Streit. Da gibt ein Wort das andere, einer ist fies zum nächsten und so weiter.
Vielleicht – so denke ich – hat Jesus das Gleichnis genau aus dem Grund erzählt, um diesen Teufelskreis zu kritisieren.
Ich stelle mir vor wie er sagt: „Leudde, so geht das nicht weiter. Wir können nicht immer wieder Schlechtes mit Schlechtem vergelten. Auch wenn der Weinbergbesitzer natürlich im Recht ist, so bleibt ihm wohl auch nur Gewalt, um sein Recht durchzusetzen.“
Jedenfalls stellt Jesus ein anderes Bild dagegen. Am Ende des Gleichnisses verweist er nämlich auf Psalm 118: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden.“
Ecksteine, das sind im Hausbau mit die wichtigsten Elemente. Oder wie Wikipedia es formuliert: „Insbesondere an Gebäuden haben Ecksteine eine tragende Funktion, da sie durch die wechselweise Überlagerung der Schmal- und Breitseiten und ihr größeres Gewicht insgesamt stabilisierend wirken.“(https://de.wikipedia.org/wiki/Eckstein) Aha!
Ein verworfener Stein wird zum Eckstein. Das ist der Durchbruch. Denn hier verändert sich was! Kein Zweifel, der Vers wird im Neuen Testament direkt auf Jesus bezogen.
Der Sohn Gottes, der am Kreuz stirbt, wird zum Grund einer weltweiten Bewegung.
Seitdem schöpfen nicht nur jüdische Menschen Hoffnung, dass der Tod nicht das letzte Wort hat. Dass die Gewaltspirale unterbrochen werden kann. Und dass es Heilung gibt für belastete Seelen und gebrochene Herzen. Menschen wie du und ich, wir die wir hier sind. Wir sind lauter kleine und große Beispiele dafür, dass Jesus recht behielt:
Den Stein, den die Bauleute verworfen haben, also der von den Experten nicht für richtig angesehen wurde, den hat Gott zum Eckstein gemacht. Auf ihm bauen wir unsere Hoffnung, dass das Leben weiter geht, auch wenn es einmal hier auf Erden aufhört.
Wir hatten in dieser Woche in unserem Dorf eine schwere Beerdigung. Ein Mann, so alt wie ich, ist plötzlich gestorben. Da hat der Tod der Familie einen Strich durch die Rechnung gemacht. Doch es gibt Hoffnung und Trost. Für den Verstorbenen, seine Familie wie für uns alle. Gott hat den Tod überwunden. Das klingt wie ein Wunder. Und das ist es auch. Ein ziemlich „wunderbares“.
Wenn die Rechnung mal nicht aufgeht im Leben, dann geht es trotzdem weiter. Und nur Gott weiß, wie!
Amen.