Zwischen den Zeiten – eine etwas andere Bilanz (Joh 17,1-8)

So redete Jesus und hob seine Augen auf zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist da: verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrliche; denn du hast ihm Macht gegeben über alle Menschen, damit er das ewige Leben gebe allen, die du ihm gegeben hast. Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen. Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, damit ich es tue. Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war. Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie waren dein und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt. Nun wissen sie, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt. Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie glauben, dass du mich gesandt hast.

Die Party war zu Ende. Nach und waren sie alle gegangen, die vielen Freundinnen und Freunde, Verwandten und Bekannten. Leute, die er schon lange kannte und solche, die ihm erst vor kurzem über den Weg gelaufen waren. Auch viele Schulterklopfer waren dabei. Leute, die man eigentlich gar nicht kennt und die doch hartnäckig um einen herumschwirren, wenn man ein bisschen bekannter geworden ist.

„Davon gibt es schnell ziemlich viele“, seufzte er, als er sich langsam und erschöpft auf den Boden gleiten ließ. „Die sind da, schneller als du schauen kannst und sobald es nicht mehr gut läuft, kehren sie dir den Rücken zu. Oder schlimmer, sie machen einem das Leben zur Hölle.“ Eine bittere Erfahrung, die er schon gemacht hatte.

Doch er wischte diesen Gedanken weg.

Es war insgesamt ein schöner Abend gewesen. Die Leute waren gut drauf. Es wurde getanzt und gelacht. Viele interessante Gespräche hatten sich ergeben, dazu ein gutes Glas Wein – ja, so ein Fest sollte man doch öfters machen, dachte er, als die letzten gegangen waren und eine innere Ruhe sich in ihm breit machte.

Nur sein bester Freund war noch da. Die treue Seele. Er werkelte in der Küche, räumte Teller zusammen und klapperte mit dem schmutzigen Besteck. Es war ein angenehmes Geräusch, das von da drüben kam. Geschäftig und zugleich gemütlich. Es gehörte zu einer Party einfach dazu. Wie nett von ihm, dass er noch geblieben war und ihm beim Aufräumen half.

So saß er da und seine Gedanken schweiften zurück in diesen Abend. Er war glücklich gewesen, inmitten der Leute zu sein, einfach bei ihnen, ohne irgendwas tun zu müssen. Gut, den Gastgeber hatte er gespielt, aber das ist ja (wenn man so will) auch eine schöne Sache: Für die Gäste zu sorgen, ihnen immer wieder nachzuschenken und auf diese schlichte und freundliche Weise für sie da zu sein.

Er hatte das Gefühl gehabt, dass die Leute wirklich ausgelassen waren. Nicht so wie bei den vielen anderen Feiern, wo man mehr aus Pflichtbewusstsein hinging. Wo man erst niemanden kannte und dann niemanden kennen lernte. Wo es nur darum ging, andere zu sehen und von anderen gesehen zu werden.

Solche Feiern kannte er mittlerweile zur genüge. Es ist komisch, warum die Leute immer noch dahin gehen, dachte er. Warum sie sich das immer noch antun. Er hatte das nie verstanden. Als er das erste Mal bei so einer Party war, da hatte er sofort gemerkt, dass er keinen Gefallen am hohlen Geschwätz der Leute fand. Für Oberflächlichkeiten war das Leben doch wahrlich viel zu kurz! Nein, ihm hatte es immer viel mehr Spaß gemacht, wenn Menschen sich kennen lernten. Wenn sie miteinander was anfangen konnten. Nicht nur eitel herumreden, sondern Freundschaften knüpfen oder sogar etwas zusammen unternehmen, aktiv sein, Nähe zu einander aufbauen.

Überhaupt, wenn er so darüber nachdachte, waren ihm die Freundschaften immer wichtiger geworden. Denn was nützt einem alles Geld und Ruhm und Ansehen, wenn man in dieser Welt letztlich doch einsam bleibt. Ohne Gesellschaft, ohne Gemeinschaft… nein, das wäre nichts für ihn. Und er konnte all die Menschen nicht verstehen, die ihre „individuelle Freiheit“ vor sich hertrugen, und immer wieder aus Angst vor Beziehungen lieber in ihre Einsamkeit flüchteten.

Manche sagten von ihm, er hätte eine besondere Ausstrahlung, ja er wäre „charismatisch“, wie sie es nannten. Gut, sicher, er hatte einen gewissen Erfolg im Beruf, er war darüber hinaus bekannt geworden und die Leute waren ihm gegenüber angeblich aufgeschlossener als bei anderen. Und irgendetwas an ihm würde Wärme verbreiten, hatte ein Gast vorhin gemeint. Ihm war es letztlich egal, ob das so stimmte. „Hauptsache, wir leben ein Leben, das wir hinterher nicht bereuen.“ Dachte er.

Denn viel zu oft hatte er Menschen getroffen, bei denen er den Eindruck hatte, dass sie gar nicht wussten, worauf es ankommt im Leben. Wie viele hatten ein enormes Tempo drauf, fuhren hierhin, dorthin. Urlaub, Geld, Reisen und immer wieder die Arbeit. Ja, auch in seinem engsten Freundeskreis waren einige, die dachten immer nur an die Arbeit. An noch mehr Erfolg, die Botschaft unters Volk bringen, noch mehr Leute erreichen, den Ruf, das „Image“ verbessern. Immer weiter, immer höher, immer schneller. Aber spätestens wenn sie vom Leben aus der Bahn geworfen wurden, bei einem Schicksalsschlag, wenn sie ihre Arbeit verloren, oder einfach wenn sie mal Pech hatten im Leben, dann war das Gejammer groß. Spätestens dann wäre es doch ein guter Zeitpunkt sich zu fragen, wofür die Menschen eigentlich lebten. Doch die meisten verdrängten offensichtlich diese Fragen.

Komisch, er hatte sie sich schon immer gestellt, seit er sich erinnern konnte. Schon als Kind wollte er wissen, warum wir leben, wofür es sich lohnt auf der Welt zu sein. Und die Antworten waren ihm wie von selbst gekommen, aus einer inneren Eingebung vielleicht, wahrscheinlich auch aus Erfahrung: Am Ende ging es doch nur um Gemeinschaft, um Freundlichkeit und Respekt voreinander. Immer wieder, wenn er gefragt wurde und davon erzählte, sah er in den Augen der Menschen die Enttäuschung. Das soll es gewesen sein? Mehr nicht?

Vielleicht klang das für sie zu einfach, zu banal. Sein Geheimrezept, das eigentlich gar nicht so geheim war: das Leben achten und jedem Menschen mit einer großen Offenheit begegnen. Und immer wieder die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, mit Menschen, die auf der Suche waren, die offen waren für die Fragen nach dem Sinn. Er konnte nicht genau sagen, wann das angefangen hatte, aber es fanden sich irgendwann immer mehr Menschen, die seine Antworten überzeugten. Die Schlichtheit, die Gradlinigkeit, die aus seinen Worten sprach, das war für viele eine wohltuende Alternative zu dem Trubel, der sonst so herrschte im Alltag.

Natürlich gab es ganz unterschiedliche Reaktionen auf seine Ansichten vom Leben. Da gab es die einen, die nach schnellen Antworten suchten ohne sich selber Gedanken machen zu müssen. Die lieber ein Universalmittel haben wollten gegen alle Schwierigkeiten im Leben. Die waren aber schnell wieder weg, so wie die Schulterklopfer vorhin auf der Party. Und dann gab es aber auch die anderen. Die am Anfang skeptisch blieben und versuchten, ihren eigenen Weg zu finden, ihre eigenen Antworten. Die mochte er besonders. Denn bei ihnen konnte er sicher sein, dass sie in ihm nicht irgendeinen Guru sahen, einen spirituellen Führer, der ihnen das Denken und Fühlen abnahm. Nein, diese wollten selber herausfinden, wofür es sich zu leben lohnte, abseits der materiellen Sorgen von Sicherheit und Wohnstand. Zu ihnen gehörte auch sein bester Freund.

Er lauschte intensiv, ob Peter immer noch in der Küche herummachte. So sehr war er in seinen Gedanken versunken, dass er die Geräusche glatt überhört hatte. Als ein leises Scheppern von der Küche herüber drang, war er doch beruhigt.

Tief holte er Luft. Es war ein wunderbarer Moment, so nach der Party. Er fühlte sich ganz klar im Kopf, die Wirkung des Weins war wie verflogen. Es war einer jener Augenblicke, in denen er sich ganz im Reinen wusste, im Reinen mit sich und der Welt. Zufriedenheit strömte in sein Herz, aber es war eher eine erschöpfte Zufriedenheit. Der Tag war lang gewesen und das Fest hatte ihn auch geschlaucht. Und doch war da wie ein Glanz, ein sanftes Schimmern in seinen Augen. Er spürte förmlich den inneren Frieden, der sich in ihm ausbreitete. „Ja, bis hierhin bist du gut gekommen“, sagte er wie zu sich selbst. Wie als wollte er eine Bilanz ziehen.

„Du hast Menschen getroffen, die dich lieben, du hast von dem etwas erreicht, was dir wichtig ist.“ Ein schöner Moment, der nie vergehen sollte. Und doch wusste er zugleich, dass dieser Moment vergehen würde. Wie alles verging auf dieser Welt: Menschen, Gefühle, Ideen, Pläne. Aber etwas, etwas würde nicht vergehen: Die Fragen nach dem Sinn des Lebens. Die Fragen nach dem, was hinter allem steckt. Solange sich die Menschen diese Fragen weiter stellten, gingen sie nicht verloren im Laufe der Zeit. Im Gegenteil. Mit diesen Fragen – da war er überzeugt – würden sie über ihre eigenen Grenzen hinausgehen.

Wer erkannte, worauf es im Leben ankam, der wurde ein Teil der Ewigkeit. Denn damit konnten die Menschen so leben, dass sie es hinterher nicht bereuen mussten. Dass sie am Ende so zufrieden mit sich sein konnten, wie er es in jenem Augenblick spürte. Er schloss die Augen und genoss für einen Moment noch mal die Ruhe. Denn er wusste, dass es niemals wieder so sein würde.

Die Stunde war gekommen.

Ein Gedanke zu “Zwischen den Zeiten – eine etwas andere Bilanz (Joh 17,1-8)

  1. Hallo lieber Verfasser, auf der Suche nach Inspiration zur Perikope des kommenden Sonntag stieß ich auf diese schön formulierte, anregende Predigt. Ich hätte sie gern gehört.
    Eine tolle Idee für eine Predigt zu einem ja eher sperrigen, unzugänglichen Text.
    Gleichzeitig bleibt mir die Frage: Ist das schon ausreichend Tiefgang für mich; geht es doch um die Nacht der Nächte, um Hingabe des Christus, um alles oder nichts, um Tod für die Ewigkeit.
    Ist der Bibeltext unzulässig banalisiert worden? Eine ehrliche Frage. Eine tolle Predigt. Danke

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