Ein Umzug ist kein Weltuntergang. Aber manchmal fühlt es sich ein bisschen so an. Bei uns zuhause ist es gerade so: Viele Kisten sind noch nicht ausgepackt. Der Umzug war vor zwei Wochen, aber so richtig angekommen im neuen Leben sind wir noch nicht.
Wer von euch schon einmal umgezogen ist, weiß vielleicht, was ich meine: So ein Umzug ist anstrengend. Wenn man einen Lebensort aufgeben und sich an einem neuen einrichten muss, dann ist das schon so ein bisschen wie am Ende der Zeit, zumindest kann ich mir das so vorstellen. Ein Leben zwischen den Welten.
Noch ist der Abschied vom Altbekannten und Liebgewonnenen nicht geschafft. Und bis sich ein neuer Alltag eingestellt hat, muss noch einige Zeit vergehen. Die meisten Dinge im Haus haben noch nicht ihren „richtigen“ Platz gefunden. Und wenn ich auf diese vielen Umzugskisten schaue, in denen das eigene Leben vorübergehend verstaut ist, dann kann mir schon mal der Mut sinken.
Leben „zwischen den Welten“ – wahrscheinlich hat auch der Prophet Jesaja solche Erfahrungen im Blick, wenn er in seiner Apokalypse davon berichtet, wie es einmal aussehen wird – bei Gott zuhause, in der Straße am Ende der Zeit:
Gott wird den Tod verschlingen auf ewig. Und Gott wird die Tränen von allen Angesichtern abwischen und wird aufheben die Schmach seines Volks in allen Landen; denn der HERR hat’s gesagt. Zu der Zeit wird man sagen: »Siehe, das ist unser Gott, auf den wir hofften, dass er uns helfe. Das ist der HERR, auf den wir hofften; lasst uns jubeln und fröhlich sein über sein Heil.«
Das sind nur zwei Verse, aber die haben es in sich. Sie gehören in das große Bild, das der Prophet vom Weltende malt. Für Jesaja ist es ganz klar: Gott räumt auf, macht wieder Ordnung und bringt alles an seinen „richtigen“ Platz. Tränen werden getrocknet und die Macht des Todes wird gebrochen. Oder, wie Jesaja es so schön sagt: Der Tod wird „verschlungen auf ewig“.
Kann man das eigentlich glauben? Ist das realistisch? Ist das überhaupt möglich? Ich meine, alle Jahre wieder zu Ostern hören wir die wundersame Geschichte vom leeren Grab und der Botschaft: „Christus ist auferstanden von den Toten.“
Alle Jahre wieder können wir mit den berühmten „Emmausjüngern“ mit fiebern, wie sie dem auferstandenen Freund begegnen – ohne ihn aber zu erkennen. Tragisch und irgendwie auch sympathisch.
Alle Jahre wieder dann diese große Furcht unter den Jüngerinnen und Jüngern, die nur sehr zögerlich einer vorsichtigen Freude Platz macht. Ist die Liebe Gottes tatsächlich stärker als der Tod?
Was aber ändert diese Botschaft daran, dass der Tod in unserem Leben immer noch eine Realität ist? Dass die Gräber auf unseren Friedhöfen nicht leer sind wie das Grab am Ostermorgen
Das Lebensende, der Tod an sich ist und bleibt eine Tatsache, auch wenn die letzten Schoko-Osterhasen aufgegessen sind. Mit dem Tod zu rechnen, das ist ziemlich realistisch. Denn Leben endet immer tödlich. Nur haben wir keinen Einblick in unsere himmlische Personalakte und wissen also nicht, wann es soweit ist.
Die Erfahrung lehrt: Das Leben in dieser Welt hat ein Ende. Na und? Genau davon erzählt die Bibel ja auch: Jesus stirbt am Kreuz. Judas hat ihn verraten und verkauft. Petrus will Jesus auf einmal nicht gekannt haben. Seine Freunde fliehen aus Jerusalem. Und wer weiß, was noch alles geschieht?
Das sind die harten Fakten, unter die sich fast beiläufig eine Nachricht mischt: Jesus ist nicht im Grab. Er ist auferstanden von den Toten, genau so, wie er es gesagt hat.
Kaum zu glauben. Wir haben es in der Schriftlesung gehört: Zwei Jünger machen sich auf den Weg. Sie sind eher auf der Flucht. Sicher ist sicher. Ich kann sie gut verstehen.
Die harten Fakten diktieren die Verhältnisse: Die Gewalt hat gesiegt. Die Hierarchie triumphiert, ja das System hat das letzte Wort. Die Mächtigen lassen sich eben nicht hineinreden. Alles bleibt, wie es ist. Oder?
Nein, sagt Jesaja, es bleibt nicht, wie es ist. Es gibt eine Perspektive, eine Hoffnung. Die Verhältnisse ändern sich immer, und das wissen wir auch. Manchmal wendet es sich zum Guten, manchmal nimmt auch das Böse seinen Lauf. Aber auf jeden Fall bleibt es nicht so, wie es ist. „Stillstand ist der Tod“ – wie ein Prophet unserer Tage einmal gesungen hat.
Und ausgerechnet dann, wenn die Welt an ihr Ziel kommt, wenn Gott wie nach einem ziemlich großen Umzug wieder Ordnung macht, dann soll das nicht mehr gelten? Dann soll alles bleiben, wie es war? Kann man das glauben? Ist das realistisch? Ist das möglich?
Jesaja sagt wieder: Nein! Das vermeintliche Nicht am Ende des Lebens, am Ende der Welt, wird nicht bestehen. Es bleibt nicht alles so wie es ist. Denn Gott räumt auf. Macht Klarschiff und sortiert die Dinge neu. Kiste um Kiste.
Mit dem Tod verschwindet das Leid, die Ungerechtigkeit, das Unrecht. Da gibt es dann keine Armutsflüchtlinge und Bankenkrisen mehr, keine Diktatoren und unersättliche Finanzmärkte. Da gibt es dann keine Opfer und Täter mehr, keine Mächtigen und Ohnmächtigen. Gott wischt mit seinem Taschentuch die Tränen ab – für immer. Das muss ein ziemlich großes Taschentuch sein, denn da passt viel rein.
Wenn ich es mir genauer überlege, dann ist Jesus selbst so ein Taschentuch in Person gewesen. Wie viele Tränen der schon so abgewischt hat! Geweinte Tränen waren darunter, wie die um Lazarus oder um die sterbenskranke Tochter des Jairus.
Aber auch die ungeweinten Tränen hat er gesehen. Die Tränen all derer, für die kein Platz in der Gesellschaft war. Aussätzige und Geächtete, Zöllner und Prostituierte, Ausländer und Kriminelle. In der Begegnung mit ihm haben sie gespürt: Nichts muss bleiben, wie es ist.
Stattdessen bleibt alles anders. Und diese Gewissheit, mit der Jesaja das Weltende beschreibt, ist in dem Wanderprediger aus Galiläa vorweg genommen, schon jetzt Realität geworden.
Seinen Tod am Kreuz war dann auch der ultimative Taschentucheinsatz: Seitdem sind sogar die Tränen der Sterbenden und der Toten bei ihm gut aufgehoben.
Es ist kein Zufall, dass im letzen Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes, das Weltende genauso wieder erscheint. Dort heißt es:
Die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.
Da ist es also wieder, das Taschentuch. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber mir tut es schon gut, alle Jahre wieder die Botschaft von Ostern zu hören und mich daran erinnern zu lassen, dass nichts so bleibt, wie es ist. Die Welt wird am Ende wie bei einem großen Umzug eingepackt, ausgepackt und neu sortiert.
Und dann bin ich mit Jesaja und Johannes ziemlich sicher: Wenn Gott bei sich zuhause die Umzugskisten auspackt, wird er das Taschentuch wiederfinden.
Dann wird Gott all das wegwischen, was diese Welt manchmal so schwer erträglich macht.
Dann können auch wir aufhören mit der Arbeit an den Umzugskisten dieser Welt. Vorher aber nicht.
Amen.