Zöllner im Advent (Lk 18,9-11)

Es war nur eine kurze Szene während der Fußballeuropameisterschaft im letzten Sommer: auf dem Weg zum Public Viewing wurde der Jugendliche am Zutritt zur Fan-Meile aufgehalten. Er sei zu schwarz, meinte der Türsteher. Es gab Proteste. Schließlich sollte er erst mal zwei deutsche Gedichte aufsagen, dann könne er vielleicht rein.

Die Leute drum herum trauten ihren Ohren nicht. Wenig später dann kam eine Mutter mit ihrem dunkelhäutigen Adoptivkind und wollte ebenfalls zur Fußball-Party. Auch sie durften zunächst nicht rein, ohne zu wissen warum. Hinterher berichtete die Zeitung am Ort darüber. Hatten die Zwischenfälle einen fremdenfeindlichen Hintergrund? Die beauftragte Sicherheitsfirma dementierte das natürlich sofort.

Solch ein rassistisches Verhalten gäbe es in ihrem Unternehmen nicht und werde auch nicht geduldet. Auch die Stadtverwaltung distanzierte sich von jeder menschenverachtenden Haltung. Die Staatsanwaltschaft begann gar nicht erst zu ermitteln. Also alles nur ein Missverständnis?

Über Rassismus zu sprechen ist immer schwierig, besonders aber in Deutschland ein Jahr nach der bekanntgewordenen Mordserie des so genannte „Nationalsozialistischen Untergrunds“. Eigentlich gibt es bei uns so etwas doch längst nicht mehr – sollte man meinen. Dass Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft oder sonst einem sichtbaren Merkmal benachteiligt werden, ist für die meisten von uns unvorstellbar. Stattdessen kann man oft Beteuerungen hören: „Bei uns gibt es das nicht!“ oder „Wir haben das zum Glück überwunden. Rassismus ist Geschichte!“ So was passt ja auch nicht in das Bild vom weltoffenen Deutschland, das attraktiv im globalen Wettbewerb um Arbeitskräfte gegen die demographische Entwicklung ankämpft.

Irgendetwas stimmt da aber nicht. Denn Menschen machen nach wie vor tagtäglich die Erfahrung von Diskriminierung, auch ohne andere Hautfarbe. Menschen, die sichtbar zu einer bestimmten Gruppe gehören, werden auch bei uns immer noch ausgegrenzt und mit Vorurteilen beladen. Ist unsere Gesellschaft wirklich so offen, wie wir das denken? Wie passt das zusammen?

Dazu hören wir das Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner, das Jesus erzählt (Lk 18,9-11):

9 Er sagte aber zu einigen, die sich anmaßten, fromm zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis: 10 Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. 11 Der Pharisäer stand für sich und betete so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. 12 Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme. 13 Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig! 14 Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.

Wir stehen neben dem Pharisäer und danken Gott, dass wir nicht so sind wie die anderen Leute – Rassisten, Rechtsextreme und sonstige Menschenfeinde. Wir doch nicht! So ein Glück! Und gleich danach blenden wir die Nachrichten aus, die von verstecktem oder offenem Rassismus. Wenn Menschen, weil sie zu einer bestimmten Gruppe gehören, benachteiligt werden. Denn das geschieht nach wie vor, Rassismus hat viele Formen. Und die haben immer weniger mit „Rassen“ zu tun:

Wenn Menschen schon aufgrund ihres „fremd“ klingenden Namens nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden oder bei der Wohnungssuche nicht zum Zuge kommen. Wenn Flüchtlinge, die im Asyl- verfahren sind, zum Teil mit Lebensmittelgutscheinen auskommen müssen, weil das so genannte „Asylbewerberleistungsgesetz“ ihnen eine menschenwürdige Behandlung versagt. Und wenn Eltern aus der Großstadt ihre Kinder von der Grundschule in ihrem Stadtteil nehmen, weil da „zu viele Ausländer“ sind.

Ja selbst bei gut meinenden Leuten, die sich niemals als fremdenfeindlich bezeichnen würden, „funktionieren“ die Vorurteile gegen bestimmte Gruppen wie beispielsweise, dass Fremde weniger gebildet seien und Kinder mit Migrationshintergrund die schulische Entwicklung der deutschen Kinder behindern würden.

Es geht bei Rassismus nicht mehr nur um Rassen. Zwar benutzt der Europarat immer noch die folgende Definition: „Rassismus bedeutet die Überzeugung, dass ein Beweggrund wie Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, Staatsangehörigkeit oder nationale oder ethnische Herkunft die Missachtung einer Person oder Personengruppe oder das Gefühl der Überlegenheit gegenüber einer Person oder Personengruppe rechtfertigt.“

Vorurteile und Ausgrenzung treffen aber auch ganz andere „Gruppen“: Frauen, die im Beruf meist immer noch weniger verdienen als Männer; Homosexuelle, die immer noch und viel zu oft auf ihre sexuelle Orientierung reduziert werden; muslimische Frauen, denen wegen ihres Kopftuches am Arbeitsplatz Ärger droht. Deshalb spricht man mittlerweile auch von „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“. Rassismus ist eine Form davon. Und wie alle diskriminierenden Haltungen lebt der Rassismus von Vorurteilen.

Auch in der Kirche sind Vorurteile spürbar. Der Pharisäer aus dem Gleichnis ist dafür das beste Beispiel: Zu Jesu Zeiten waren die Pharisäer eine Gruppe geachteter Schriftgelehrter, die in scharfsinnigen Lehrgesprächen den Sinn der Heiligen Schrift ausgelegt haben. Im Laufe der Überlieferung wurde diese Gruppe jedoch immer negativer dargestellt. Das Christentum musste sich vom Judentum abgrenzen und rückte es zunehmend in ein schlechtes Licht. In den Texten des Neuen Testaments wurden die Pharisäer schließlich zum Inbegriff der Heuchelei und Jesu erbitterte Gegner.

Aber auch heute finden sich erstaunlich viele Vorurteile im kirchlichen Leben, sogar gegen andere Geschwister des Glaubens: Wenn etwa in einer Innenstadtgemeinde afrikanischen Christinnen und Christen ihren eigenen Gottesdienst feiern dürfen, aber dies nur unter strengen Auflagen erlaubt wird.

In der deutschen Ortsgemeinde hat man Sorge, dass die Gottesdienste zu laut und wild seien. Damit wollen viele lieber nichts zu tun haben. Statt einmal am Sonntagnachmittag hinzugehen und mitzuerleben, wie die afrikanischen Schwestern und Brüder Gott preisen und das Evangelium auf ihre Weise verkündigen, wird der Mietvertrag bald wieder gekündigt. Denn es gibt Beschwerden, dass es hinterher im Gemeindehaus immer so dreckig gewesen ist.

So bleiben am Ende doch alle unter sich, nach Hautfarben sortiert. „Wir“ und „die anderen“ – von Vorurteilen geprägt. Dabei haben gerade für uns Christinnen und Christen solche Merkmale wie Hautfarbe oder Sprache keine trennende Kraft mehr. Und das wird besonders in der Advents- und Weihnachtszeit deutlich, wenn wir auf das Christkind warten. Das schutzlose Kind in der Krippe bindet Menschen zusammen statt sie zu trennen, über alle staatlichen oder kulturellen Grenzen hinweg. Schließlich sind die „Drei heiligen Könige“ oder „Weisen aus dem Morgenland“ die ersten internationalen Gäste, die den neuartigen König begrüßen. Nicht im Palast zu Jerusalem, sondern im Stall von Bethlehem. Ohne Soldatenschutz, aber umgeben von Hirten, den Ausgegrenzten ihrer Zeit, mit denen man besser nichts zu tun haben wollte. Beim Jesuskind kommen einfach alle zusammen, unabhängig von ihrem Hintergrund oder der sozialen Stellung.

Es gehört zur Erfolgsgeschichte des Christentums, dass das Evangelium allen Menschen gilt, ungeachtet ihrer Herkunft oder ihres Hintergrunds. So kommt es, dass der Apostel Paulus im Galaterbrief schließlich zu der Aussage kommt: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“

Mit anderen Worten: Hier ist nicht Afrikaner oder „Biodeutscher“, hier ist nicht Mittelständler oder Langzeitarbeitsloser, hier ist nicht Niedriglöhner oder Manager, nicht Frau noch Mann, nicht Homo oder Hetero, nicht Eingesessener oder Zugewanderter; denn wir alle zusammen bilden die Gemeinschaft der Heiligen.

Wie schön wäre es, wenn diese Vision des Paulus wenigstens in unseren Gemeinden noch selbstverständlicher sein könnte, ja ganz normal. Alle eins in Christus, Gemeinschaft unter Gleichen. Dann könnten auch Kirchengemeinden Vorbilder sein bei der Integration von Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen. Dann würde im Gemeindehaus konkret erfahrbar werden, was es bedeutet, in der Vielfalt zusammen zu leben. Gemeinden wären dann auch Schutzräume für Menschen, die diskriminierende Erfahrungen gemacht haben und wo man miteinander diese Erfahrungen teilt und überwindet.

Wir können das. Gott ermöglicht es uns. Und der Zöllner in dem Gleichnis weist uns dazu den Weg. Er schlägt sich gegen die Brust und bekennt sein Versagen vor Gott. Nicht einmal die Augen mag er aufheben zum Himmel. Er benennt damit seine Grenzen, das was er nicht zu leisten im Stande ist. Aber er ist auch bereit, sich durch die Vergebung Gottes verwandeln zu lassen und der Gnade zu vertrauen. Das Beispiel des Zöllners zeigt uns den Weg:

Denn die Frage ist nicht, ob wir Migrantinnen und Ausländer, Flüchtlinge und Deutsche mit Migrationsgeschichten mögen oder nicht, sondern ob wir sie mit Namen kennen, ob wir sie als unsere Nachbarn, Mitbürgerinnen, Mitschüler, Kolleginnen, Kunden, Anlageberater, Richter, Apothekerinnen oder Polizisten ernst nehmen.

Die Frage ist nicht, ob wir Vorurteile haben oder nicht, sondern ob wir sie erfassen und überwinden. Ob wir dahin kommen zu einer Wertschätzung und Würdigung der Lebensgeschichte jedes Einzelnen – auch unserer eigenen.

Die Frage ist nicht, ob wir die Wanderungsgeschichten in dieser Welt je begreifen oder nicht, sondern ob wir unsere Verstrickung darin erkennen und akzeptieren lernen, dass Menschen sich aufmachen müssen, um ihr Überleben zu sichern.

Die Frage ist nicht, ob Flüchtlinge oft verwundbarer sind und in ihrem Leben Opfer von Gewalt wurden, sondern ob wir ihnen beistehen, ihre Verletzlichkeit zu schützen und ihre Würde wiederzuerlangen, die ihnen als Opfer oft abhandenkommt, damit sie gleichberechtigt mit uns leben können.

Die Frage ist nicht, ob wir Zugewanderte mögen oder nicht, sondern ob wir die Wanderungsgeschichten, die sich in allen Familiengeschichten finden lassen, egal wie „bio-deutsch“ man sich selbst fühlt, begriffen haben und die Sehnsucht nach einem sicheren Ort, nach Heimat und Beheimatung für alle respektieren.

Der Zöllner gibt uns Hoffnung, dass wir das schaffen können.
Mitten im Advent.

Amen.

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