Interessiert Ihr Euch für Fußball? Ich weiß ja nicht, wie es Euch damit geht, aber manchmal ist es ziemlich schwer, sich dem Treiben um das runde Leder zu entziehen. Zu Welt- und Europameisterschaften, den Hoch-Zeiten des Fußballkultes, sind die Zeitungen voll davon, dazu unzählige Hintergrundberichte und Analysen, Klatsch und Tratsch. Und sogar in diesen Tagen schafft es der Weltfußballverband täglich in die Top-Nachrichten, allerdings mit eher schlechtem Beigeschmack.
Tja, immer wieder Fußball… Und vielleicht fragt sich jetzt auch der eine oder die andere, warum denn das auch noch bis in den Gottesdienst reichen muss. Gestern mit dem Pokalfinale in Berlin ist doch die Saison zu Ende gegangen. Kann man denn nicht wenigstens sonntagmorgens im Gottesdienst mal Ruhe davon haben?
Diejenigen, die mich ein bisschen kennen, wissen, dass ich eine Schwäche für Fußball habe. Das fing früh an: Ich bin ein Weltmeisterjahrgang, getauft am Endspielsonntag. Und die Taufgesellschaft fand sich damals vor dem Fernseher ein, um dieses denkwürdige 2:1 der deutschen Mannschaft um Gerd Müller und Franz Beckenbauer gegen die Holländer zu verfolgen. Schon immer bringt der Fußball Leute zusammen, sogar so unterschiedliche Leute wie die aus meinen Herkunftsfamilien…
Meine ersten Lebensjahre verbrachte ich im Frankfurter Stadtteil Niederrad, sozusagen im Schatten des Waldstadions. Da hatte man keine Wahl, genauso wenig wie wenn man als Baby getauft wird. Christ und Eintracht-Fan, das war mir in die Wiege gelegt und ich habe versucht, das Beste draus zu machen. Aktiv Fußball gespielt habe ich auch, mein Leben lang, erst im Verein der Kleinstadt im Rhein-Main-Gebiet, dann als Schüler und Student. Zuletzt war ich bei den alten Herren des TSV aktiv und momentan trainiere ich eine G-Jugend.
Wobei, also die Zeit in Schottland muss ich besonders erwähnen: Es war im WM-Jahr 1998, als Deutschland so kläglich im Viertelfinale gegen Kroatien ausschied. Wir spielten eine Studi-WM auf einem staubigen Hartplatz am Rande des Uni-Campus und mit dem deutschen Team (dem auch vier Frauen angehörten) schafften wir immerhin den zweiten Platz.
Den damaligen Sommer habe ich ansonsten eher in den örtlichen Pubs verbracht – natürlich rein zu Studienzwecken. Ich schrieb meine theologische Magisterarbeit über Heiligenverehrung in der modernen Fußballkultur. Und das war der Beginn meiner Forschungen zu einem Thema, das heutzutage wenig originell klingt. Denn mittlerweile gehören Vergleiche aus dem Bereich der Religion und des Fußballs schon zum normalen Sprachgebrauch. Das „erlösende Tor“ oder der „Fußballgott“ kennt heute doch fast jeder…
Im Jahr 2002, also zur WM in Korea und Japan, startete mein heutiger Arbeitgeber, die Evangelische Kirche in Deutschland eine Werbekampagne und forderte auf großen Plakatwänden zum Nachdenken auf. In großen Buchstaben wurde da vor einem strahlend blauen Himmel gefragt: „Sind Fußballer unsere wahren Götter?“
Ja, sind Fußballer unsere wahren Götter? Diese Frage klingt für mich zunächst so, als sei sie eine rhetorische Frage. „Natürlich nicht!“ müsste sofort die Antwort aus den Bankreihen kommen! Christinnen und Christen müssten dagegen protestieren.
Wir könnten uns dabei berufen auf die Verkündigung der Propheten im Alten Testament gegen so genannte Götzen, die verehrt wurden, ohne dass sich am Leben ihrer Anhängerinnen und Anhänger etwas änderte.
Oder wir hören Mose, der Israel den Glauben an den einen Gott vermittelte, in der Geschichte von den Zehn Geboten. „Ich bin der Herr, dein Gott! Du sollst keine anderen Götter neben mir haben!“ steht da in Paragraph 1. Im Glauben an den Gott Israels und damit den Gott Jesu bleibt kein Platz für andere Götter.
Also alles kein Problem, wir können die Frage nach den Fußballern schnell abhaken. Doch Halt! Mir geht das etwas zu schnell! Denn: Was heißt es eigentlich, wenn von „wahren Göttern“ die Rede ist? Und wenn wir die Fußballgötter so einfach abtun, dann müssen wir ja genau wissen, warum, und was wir stattdessen glauben. Ich möchte deshalb mal einige Punkte des christlichen Glaubens herauszunehmen und sie vergleichen mit dem Fußballsport und seinen Spielern.
Die christliche Tradition hat seit dem Konzil von Kalzedon stets die wahre Gottheit Jesu Christi betont. In dem Dogma von 451 heißt es: Wahrer Mensch und wahrer Gott. Wenn Christinnen und Christen also von Gott sprechen, dann meinen wir den Gott, der sich uns durch das Leben und Sterben Jesu von Nazareth zu erkennen gegeben hat. Jesus Christus, so bekennen wir jeden Sonntag, ist von den Toten auferstanden und „sitzt zur Rechten Gottes“.
Fußballer sind zunächst nur Menschen. Auf den ersten Blick ist gar nichts Göttliches an ihnen: Sie haben ihr Hobby zum Beruf gemacht und verdienen mit Leistungssport ihr Geld. Sie haben Stärken und Schwächen, sie sind moralisch nicht besser oder schlechter als andere Menschen auch.
Und doch: Etwas Besonderes umgibt diese Menschen, irgendwie sind sie aus der Masse hervorgehoben. Vielleicht liegt diese Besonderheit daran, dass die Spieler wie Politiker und andere Stars öffentliche Personen sind, die immer im Rampenlicht stehen und die von den Medien auf Schritt und Tritt verfolgt werden.
Und dazu kommt noch, dass sie mit ihren Füßen einen Ball mehr oder weniger elegant behandeln können. Das scheint viele Menschen zu faszinieren, denn die Fußballstadien sind fast wie Heiligtümer, in welche die Massen strömen um dabei zu sein, wenn 22 Spieler um Tore und Punkte Kämpfen.
Der Sonntagsgottesdienst spielt im Leben von Christinnen und Christen immer noch eine wichtige Rolle. Wie auch heute Morgen hier, versammeln sich die Gläubigen zum Gebet, wir singen und hören das Wort Gottes. Mit dem Sonntag beginnt die neue Woche, für die meisten Leute ist er arbeitsfrei und damit eine wohltuende Abwechslung im Arbeitsalltag.
Für viele Fußball-Fans findet die Woche ihren Höhepunkt am Samstagnachmittag. Man kann ein Fußballspiel live erleben, man kann auch am Radio oder im Fernsehen mitfiebern, und ganz genau so verfolgen manche Gläubige auch die Gottesdienste.
Ein anderes Beispiel ist die Gemeinschaft: Der Glaube an den Gott Jesu vergemeinschaftet uns, d.h. wir versammeln uns, weil Gott uns in die Gemeinschaft mit sich ruft.
Gott will, dass wir nicht alleine bleiben, nicht jeder und jede für sich und gegen die anderen. In der Gemeinschaft des Gottesdienstes können wir uns jeden Sonntag vergewissern, dass wir nicht alleine sind, dass noch andere mit uns glauben und fragen und zweifeln und suchen.
Und eine solche Gemeinschaft tut gut, sie kann mich tragen, wenn ich mal nicht weiter weiß.
Fußballer versammeln auch Menschen. Woche für Woche, sie sind soziale Zentren. Um sie herum entstehen Fanclubs, Menschen richten ihr Leben nach ihnen aus und treffen sich im Stadion oder in der Kneipe, um sich zu vergewissern, dass sie nicht allein sind auf dieser Welt. Und sie spüren, dass sie im gemeinsamen Anfeuern eines Teams Gemeinschaft erleben können, auch wenn sie zusammen über den Sieg jubeln oder die Niederlage beklagen.
Im Gottesdienst feiern wir die Taten, die Gott für uns getan hat. Gottes befreiendes Handeln, das uns in der Geschichte mit Jesus sichtbar geworden ist, hat Folgen für uns. Gott hat die Menschen mit sich in Christus versöhnt, so formulieren es Christinnen und Christen seit hunderten von Jahren. Und diese Versöhnung ermutigt dazu, dass wir uns für Versöhnung einsetzen, in der Familie, im Job, der Kirchengemeinde, in der Nagelkreuzgemeinschaft. So verändert der christliche Glaube die Wirklichkeit und hilft mir, dass ich nicht nur auf mich selbst bezogen lebe. Ich soll auch da sein für andere, für Schwächere und Unterdrückte, gerade weil Gott sich der Schwachen angenommen hat. Und auch mir.
Die Taten der Fußballer haben auch Folgen: Wenn ein Tor für die eigene Mannschaft geschossen wird, liegen sich wildfremde Menschen jubelnd in den Armen liegen. Wenn man so will, entsteht da auch eine neue Wirklichkeit. Und Fußball kann auch Versöhnung bewirken: Die Fußballweltmeisterschaft 2002 hatte dafür gesorgt, dass sich zwei Länder wieder annähern, die lange verfeindet waren: Indem sie das Turnier gemeinsam ausrichten durften, konnten Korea und Japan trotz ihrer blutigen Geschichte erste Schritte auf dem Weg einer Aussöhnung unternehmen.
Es bleibt die Frage: Sind Fußballer unsere wahren Götter? Ihr seht: Es ist gar nicht so leicht, wie es zunächst schein, hierauf eine Antwort zu finden. Wenn wir den Blick aber auf das lenken, was den Unterschied zwischen Fußball und dem christlichen Gottesdienst ausmacht, dann können wir doch klarer sehen.
Im Gottesdienst wie im Fußball geht es um das die Dramatik des Lebens: Beim Fußball kann man gewinnen und verlieren. Das dramatische Spiel ist wie ein Spiegelbild für den alltäglichen Kampf ums Überleben. Das Ergebnis steht erst am Ende der Spielzeit fest. Mit dem Schlusspfiff zeigt sich, wer gewonnen und wer verloren hat. Die Fußballer nehmen dabei die Rolle von Stellvertretern ein, die den Kampf austragen und dabei selbst verlieren oder gewinnen können.
Hier im Gottesdienst erleben wir jeden Sonntag sozusagen schon die Siegesfeier. Zwar wird die Befreiungstat Gottes immer wieder vergegenwärtigt, aber letztlich steht das Ergebnis schon fest. Dadurch kann zwar der Gottesdienst ein bisschen von seiner Spannung verlieren. Aber die Dramatik, mit der Gott um uns Menschen gerungen hat, erschließt sich erst richtig vom Ergebnis her. Die Entscheidung über unser Leben ist schon gefallen, und Gott hat für uns gewonnen. Das werden wir nachher auch hoffentlich im Abendmahl spüren.
Sind Fußballer unsere wahren Götter? Ich meine, mit gutem Gewissen sagen zu können: Nein! Aber…
… wir dürfen nicht übersehen: Fußballer und der Fußball als Sport ermöglicht Menschen die Erfahrung von besonderer Aufmerksamkeit, von Festzeiten, Gemeinschaft und Versöhnung sowie der Veränderung von Wirklichkeit.
Zwar ist ein WM-Finale vielleicht spannender als ein Gottesdienst, aber nach dem Abpfiff ist der Zauber des Fußballers vorbei und der Siegesjubel verklingt. Gott kommt immer wieder in diese Welt und hat viele Möglichkeiten sichtbar zu werden. Wenn ich zweifele und mir ein anderer eine Idee gibt. Wenn ich um einen lieben Menschen trauere, und da ist dann eine, die mich tröstet. Oder wenn ich ins Gespräch komme mit einem Flüchtling in der Nachbarschaft und er erzählt mir mit leuchtenden Augen, wie gut er sich in Sievershausen aufgenommen fühlt. Solche Situationen verändern das Leben. Und sie sind nicht begrenzt auf 90 Minuten. Amen.