Die Speisung der Fünftausend1 Danach ging Jesus weg ans andre Ufer des Galiläischen Meeres, das auch See von Tiberias heißt. Und es zog ihm viel Volk nach, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat. Jesus aber ging hinauf auf einen Berg und setzte sich dort mit seinen Jüngern. Es war aber kurz vor dem Passa, dem Fest der Juden. Da hob Jesus seine Augen auf und sieht, dass viel Volk zu ihm kommt, und spricht zu Philippus: Wo kaufen wir Brot, damit diese zu essen haben? Das sagte er aber, um ihn zu prüfen; denn er wusste wohl, was er tun wollte. Philippus antwortete ihm: Für zweihundert Silbergroschen Brot ist nicht genug für sie, dass jeder auch nur ein wenig bekomme. Spricht zu ihm einer seiner Jünger, Andreas, der Bruder des Simon Petrus: Es ist ein Knabe hier, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische. Aber was ist das für so viele? Jesus aber sprach: Lasst die Leute sich lagern. Es war aber viel Gras an dem Ort. Da lagerten sich etwa fünftausend Männer. Jesus aber nahm die Brote, dankte und gab sie denen, die sich gelagert hatten; desgleichen auch von den Fischen, so viel sie wollten. Als sie aber satt waren, spricht er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrigen Brocken, damit nichts umkommt. Da sammelten sie und füllten zwölf Körbe mit Brocken von den fünf Gerstenbroten, die denen übrig blieben, die gespeist worden waren.
Johannes 6,1-13 (Luther 2017)
Eine fantastische Geschichte haben wir da gerade gehört. Was da berichtet wird, spielt vor 2000 Jahren im fernen Israel.
Aber manchmal denke ich, das könnte auch gerade heute, im Jahr 2020 passiert sein.
Und wir sind dabei. Alle ordentlich auf unseren Sitzplätzen. Mit Abstand, hören wir auf diese Geschichten von Gott.
Die einen dankbar, für die Ernte des Feldes und des Stalls, die Erträge, trotz des Wetters, dafür, dass es am Ende des Jahres wieder reicht für ein Auskommen der Familie. Dankbar auch für die Ernte des Lebens, für Freundschaften, Erfahrungen und das Gefühl, irgendwie behütet zu sein.
Und dann die anderen: Sie sind unsicher, was die Zukunft bringt.
Haben gekämpft mit den Einschränkungen der letzten Monate. Existenzängste im Job. Schwere Herzen, weil man die Enkelkinder schon so lange nicht mehr gesehen hat.
So sitzen wir alle zusammen und hoffen darauf, dass wir etwas über unser Leben und unsere Welt erfahren.
Vielleicht ist es die Sehnsucht nach Sinn, vielleicht auch einfach die Langeweile: So lange schon ist nichts mehr richtig los gewesen in unserem Dorf. Alle Feste abgesagt, kein bisschen „Event“ mehr. Dann doch wenigstens Erntedank aufm Hof. Wir sind die Fünftausend.
Vielleicht sind nicht die Mägen so sehr leer und hungrig. Dafür die Herzen um so mehr.
Im Alltag spüre ich das nicht so stark, was mir alles fehlt durch die Pandemie.
Aber manchmal, in so bestimmten Momenten, da drückt die Leere im Herzen schon aufs Gemüt.
Und nun sollen wir satt werden. Ganz schwierig!
Haben wir im Kirchenvorstand gesagt. Dieses Jahr kein Essen, keine Wurst von den Jägern, kein Kaffee und Kuchen von den Kindergarteneltern. Noch nicht mal die berühmte Kürbissuppe von den Pfadfindern.
Aber die Fünftausend werden satt!
Lächerliche fünf Brote und zwei Fische kratzen sie zusammen. Es wird geteilt und geteilt.
Und am Ende bleibt noch mehr als das doppelte übrig! Wahnsinn, oder?
Fünf Brote und zwei Fische! Das wird so genau aufgezählt, denn es zeigt, wie aussichtslos das ist. Davon kann man nicht satt werden.
Und doch klappt es!
Was sind unsere fünf Brote? Was sind unsere zwei Fische? Was haben wir heute zusammengekratzt?
Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Der Altar ist reich gedeckt, Erntegaben sind sicher genug da.
Aber bei uns? In unseren Herzen? Was macht uns jetzt satt?
Vielleicht sind es ja gerade solche Geschichten wie diese von den Fünftausend?
Viele sagen, es sei eine Wundergeschichte. Ich glaube eher, es ist eine Mutmachgeschichte.
Jesus fordert dazu auf und sagt:
Traut Euch, legt zusammen! Alles, was ihr habt. All Eure Hoffnung. Eure guten Gedanken, Eure Liebe. Kratzt noch das letzte bisschen Zuversicht und Vernunft aus Euren Herzen. Zeigt es Euch gegenseitig. Wie Ihr miteinander umgeht. Wie Ihr füreinander sorgt. Abstand halten aus Anstand.
Und was passiert? Werden wir satt? Füllen sich unsere Herzen wieder?
Eine kleine Begebenheit in der Geschichte wird oft übersehen: Es ist ein Kind! Es ist ein Kind, dass die Brote und Fische hat!
Ein Kind. Wer sonst! Von ihm geht die Hoffnung aus. Wahrscheinlich hat sich das Kind einfach getraut, das bisschen, was da ist, hervorzukramen.
Alle anderen, die ganzen gescheiten Erwachsen, haben sich vielleicht geschämt. „Also mein bisschen Käsebrot ist nicht der Rede wert.“ „Och, die paar Möhren…“
Das Kind aber hat so offen wie es eben ist, den Jüngern gezeigt, was es hat. Nicht viel, aber besser als nichts. Und dann geht durch alle Hände.
Manchmal, in dieser Pandemie, sind es die Kinder, an denen ich mich aufrichten kann. Meine Mittlere ist frisch eingeschult. Und vom ersten Schultag an hat sie mit dieser Mischung aus Selbstverständlichkeit und Fürsorge den Corona-Alltag angenommen. Wenn sich morgens alle Erstis vor der Schule versammeln und in einer Reihe aufstellen, haben sie ihre bunten Masken auf, als wäre es das Normalste von der Welt.
Fröhlich und vergnügt ziehen sie dann in Zweierreihen in die Schule ein und niemand beschwert sich über störende Masken.
Das ist jetzt nur ein kleines Beispiel, wie von den Kindern etwas ausgehen kann, das immer wieder die Herzen füllt. Die Eltern und Großeltern unter uns hier können davon sicher mehrere Liedchen singen.
Und dann, langsam, schwillt die Hoffnung wieder an. Durch die Gemeinschaft. Dadurch, dass wir miteinander zusammen sind, Zeit teilen, Sorgen und Nöte, aber auch das Schöne und natürlich auch all das, wofür wir heute „Danke“ sagen wollen.
Dann spüren wir vielleicht doch: Es reicht für alle. Genug Hoffnung, genug Zuversicht, genug zum Leben.
Und wenn dann wieder mal so ein Moment ist, wo mir selber nichts mehr einfällt, erinnere ich mich daran, wie hier in Immensen fünftausend satt geworden sind. Auf ganz besondere Weise. Gott sei Dank!