Nun wird es wieder Weihnachten und wir feiern in der Kirche. „In Präsenz“ wie das seit der Pandemie heißt. Ja, vieles geht jetzt wieder so, wie wir es kennen. In den letzten beiden Jahren war vieles anders. Statt Gottesdienste hier gab es Krippenspielfilme, Hörspiele und Stationen rund um die Kirche.
Vielleicht haben manche schon gedacht, dass man in Zukunft generell an Weihnachten auf „Kirche“ verzichten könnte… Nun, soweit ist es zum Glück nicht gekommen. Wir sind hier zusammen und das ist wunderschön. Wir hören wieder die alte Geschichte, die vertrauten Worte, singen die bekannten Lieder und es ist fast so wie immer. Aber nur fast.
Denn natürlich hat sich was verändert. Die Welt ist nochmal eine andere geworden als letztes Jahr. Und bei all dem, was jedes Jahr so passiert, ist Weihnachten für mich so eine Art Fixpunkt. Wenigstens das bleibt: Heilig Abend und die Feiertage, dazu die Geschichte von der Geburt Jesu in der Krippe.
Diese Geschichte ist mehr als ein nettes Märchen für Kinder. Sie ist voll tiefer Symbolik, die uns etwas über Gott verrät. Nämlich durch die Umstände, wie Gott Mensch wird:
Gott wird nicht in eine einflussreiche oder gar königliche Familie hineingeboren. Gott erscheint in armseligen Verhältnissen. Ohne Macht, ohne Mittel! Das wird zwar immer wieder an Weihnachten gesagt. Aber wird es auch wirklich gehört?
Jesus wird geboren – nicht in einem Palast, sondern an einem ungemütlichen Ort, irgendwo zwischen den Herbergen einer unbedeutenden Kleinstadt, deren Ruhm längst verblasst ist. Ja, 1000 Jahre vorher kam da mal ein Hirtenjunge her, der König über Israel wurde. Aber zur Zeit Jesu ist Bethlehem ungefähr so bekannt in der Welt wie Egelsbach. Da kommt meine Familie her. Kennt hier aber auch niemand!
Die ersten Besucher an der Krippe sind Hirten. Arme Menschen am unteren Rand der Gesellschaft. Heute würde man sie „Sozial Schwache“ nennen. Sie leben außerhalb der Dörfer, in den Bergen und auf den Feldern rund um Bethlehem. Sie sind die ersten, die erfahren, was da passiert ist. Sie stehen ganz oben auf Gottes Prioritäten-Liste. Deshalb bekommen sie als erste Bescheid gesagt.
Wenn wir uns das alles mal richtig bewusst machen, nicht nur so als „nette“ Details neben all dem Weihnachtstrubel, dann ist die Botschaft von Weihnachten doch Jahr für Jahr diese: Das göttliche Licht kommt nicht von oben.
Und das bedeutet: Wenn du Gottes Nähe suchst, findest du sie nicht im Leben der Erfolgreichen. Nicht bei denen, die schon hunderttausend Follower haben. Nicht bei denen, die über Wohl und Wehe von anderen entscheiden. Nicht bei den Putins dieser Welt und auch nicht bei den Messis.
Weihnachten – das bedeutet „Macht von unten“. Gott kommt von unten, Gott wird Mensch in einem armen, schutzlosen Kind. Und solidarisiert sich genau auf diese Weise mit denen, die nichts zu lachen haben. Weder in der Pandemie, noch in Zeiten des Krieges.
Ja, an Weihnachten ist Gott so herrlich parteiisch. Parteiisch für alle, die auf der Verliererseite stehen. Gott ergreift Partei für diejenigen, die benachteiligt sind, unterdrückt, ausgelacht, belächelt für das Leben, durch das sie sich kämpfen. Das klingt logisch, hat aber Konsequenzen, wenn wir das ernst nehmen.
Die Krippe von Bethlehem ist dafür das Symbol. Die Krippe steht dieses Jahr vermutlich in Kiew und Odessa, vielleicht treibt sie irgendwo auf dem Mittelmeer oder steht neben dem Bett eines jungen Menschen, der sich falsch im eigenen Körper fühlt. Oder neben einer kalten Heizung.
Die Krippe von Bethlehem steht bestimmt auch unter dem Weihnachtsbaum von Menschen, die in diesem Jahr jemanden verloren haben. Deren Trauer noch zu groß ist, um in Worte zu passen.
Für mich ist das die Botschaft von Weihnachten 2022: Gott ist ihnen allen nahe, den Vertriebenen und Geflüchteten, den Gemobbten und Mittellosen. Denen, die „im dunklen Land wohnen“, wo immer wieder der Strom ausfällt oder das Geld nur für wenige Stunden Wärme am Tag reicht.
Gott ist bei denen, die in ihren Familie physische oder psychische Gewalt erfahren, deren Körper inspiziert und bewertet wird. Und Gott ist bei denen, die durch den wachsenden Druck, immer tollere Sachen schenken zu müssen, unter die Räder kommen. Wenn du Gott suchst, nicht nur an Weihnachten, dann weißt du spätestens seit der Geschichte von Bethlehem, dass diese Suche längst beendet ist.
Denn Gott hat dich schon gefunden.
Du Menschenkind. Gott hat dich gefunden mit all deinen Sorgen und der Angst, auch mit der Traurigkeit, die bei dir wohnt. Denn das Kind in der Krippe ist für uns alle gekommen. Gott wird Mensch, damit auch wir menschlich werden können. Mit unseren Schwächen und Grenzen.
Denn ganz ehrlich: Jede und jeder von uns hat doch ein Päckchen im Leben zu tragen. Du und ich, auch wenn wir es nicht voneinander wissen. Gott aber weiß es. Gott kennt die Tiefen des menschlichen Lebens. Kennt die Depressionen und die ungeklärten Fragen. Gott kennt die Trauer.
Denn genau dafür ist Gott ja Mensch geworden. Damit wir sie nicht „im Himmel“, sondern auf Erden finden. Unglaublich, oder? Aber irgendwie auch tröstlich. Nicht nur an Weihnachten.
Amen.