Da sprachen sie zu ihm: Was tust du für ein Zeichen, damit wir sehen und dir glauben? Was für ein Werk tust du? Unsre Väter haben in der Wüste das Manna gegessen, wie geschrieben steht (Psalm 78,24): »Er gab ihnen Brot vom Himmel zu essen.« Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn Gottes Brot ist das, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben. Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns allezeit solches Brot. Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.
„Es gibt kein richtiges Leben im Falschen.“ Dieser Satz stammt von Theodor Wiesengrund Adorno. 1944 aus dem Exil hat Adorno so die Krise der Intellektuellen im Nazideutschland beschrieben. „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen“ – das ist eine Einsicht, die auch 60 Jahre nach Kriegsende ihren faden Geschmack nicht verloren hat.
Nichts Richtiges – im Falschen? Für mich klingt das sehr nüchtern, ja fast schon kalt. Und der Satz hat eine gewisse Totalität, er lässt nichts anderes gelten. Vielleicht liegt er mir deshalb so schwer im Magen, weil er so bestimmt klingt, keinen Spielraum lässt. Kein Durchwurschteln. Er erlaubt es nicht inkonsequent zu sein, mit Kompromissen zu leben. Es ist ein radikaler Satz, der bis an die Wurzel geht, an die Wurzel unserer Zeit, unserer globalisierten Gesellschaft.
Denn er besagt: Ganz gleich was wir tun, wozu wir uns entscheiden, die Umstände in denen wir leben, sind immer schon falsch, sind geprägt von Ungerechtigkeit. Das System ist korrupt, und wer sich in diesem System bewähren will, wird ebenfalls korrumpiert. Wer es zu etwas bringen will, muss eben über seinen Schatten springen und mitmachen.
Und dieses System ist global: Ob wir wollen oder nicht, unser Handeln hat direkte Auswirkungen auf andere Menschen. Der Kaffee, den wir trinken, die Kleidung, die wir kaufen, das alles trägt zur Ungerechtigkeit in dieser Welt bei. Ganz konkret. Viel zu oft haben wir gar keine Wahl. Sobald wir konsumieren, profitieren wir von der Ausbeutung in anderen Teilen der Welt.
Alles hängt heute zusammen. Die Bomben in der Londoner U-Bahn machen uns das schmerzlich bewusst: Unser Wohlstand auf Kosten der anderen wird auch für uns immer bedrohlicher. Der schreckliche Terroranschlag am Donnerstag ist dafür nur ein Ausdruck.
Ich denke an die Familie Ahmad hier in Seligenstadt. Seit 14 Jahren leben sie hier, auf der Flucht vor religiöser Diskriminierung, geflohen aus der Heimat Pakistan. Drei Kinder haben sie mittlerweile, hier geboren, eins besucht unsere Kindertagesstätte. Und nun kommt der Bescheid von der Ausländerbehörde: Abschiebung! Ende! Keine Toleranz! Warum, so frage ich mich, muss es überhaupt Ausländer und Innländer geben? Warum haben die einen von Geburt an ein Aufenthaltsrecht in diesem Land, die anderen nicht? Da stimmt schon etwas ganz grundsätzlich nicht. Richtiges Leben im Falschen?
Die Jüngerinnen und Jünger fragen Jesus: „Was tust du für ein Zeichen, damit wir sehen und dir glauben?“ Ihr Fragen klingt verzweifelt. Sie wollen ja glauben, sie sehnen sich nach richtigem Leben und nun wollen sie es wissen. Denn sie spüren: dieser Jesus hat etwas an sich, dass ihnen „richtig“ vorkommt. Vielleicht ist es seine Ausstrahlung, sein Charisma, vielleicht ist es aber auch die Art wie er von Gott redet, wie er mit den Menschen umgeht.
Sie fragen nach Zeichen. Jesus hat ja Zeichen getan. Kurz vor der Szene, die im Predigttext geschildert wird, findet die berühmte „Speisung der Fünftausend“ statt. Viele Leute kommen zusammen, um den Rabbi zu hören. Der redet lange und macht ihnen Appetit. Lebenshunger. Aber zunächst ist kein Essen für sie da. Das Geld der Freundinnen und Freunde reicht gerade mal für fünf Brote und zwei Fische. Und trotzdem bekommen alle genug, sie werden gesättigt. Hinterher fragen sie ihn, was TUST du für ein Zeichen, damit wir an dich glauben? Jesus aber antwortet ihnen: Ich BIN das Brot des Lebens. Er „ver-körpert“ es. Das richtige Leben in Person.
Durch ihn finden sie Geschmack daran. Er heilt die Menschen von ihrer Gottesferne, er übt Solidarität mit den Ausgegrenzten, sitzt mit Huren zu Tisch und genießt die Gastfreundschaft des Zöllners. Jesus nimmt sie alle an, ist ihnen nahe, und er verwandelt sie gerade durch seine Nähe. Er macht aus ihnen Menschen, die nicht mehr nur um sich selber kreisen. Blinde sehen, Taube hören: er öffnet ihnen Augen und Ohren für die Welt, für Gott.
In Gottes Namen richtet er sie auf, die Ausgebeuteten, die Diskriminierten, die Ausländer – all jene, die im Falschen leben und die unter dem Falschen leiden. Dieser Jesus, er lässt sie schnuppern an diesem richtigen Leben wie an einem frisch gebackenen Laib Brot. Und deshalb fordern die Jüngerinnen und Jünger von ihm: „Gib uns allezeit solches Brot“. Lass uns dieses richtige Leben genießen, lass uns immer diese Freiheit und die Nähe schmecken, von der wir gekostet haben. Und er antwortet ihnen: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“
Das also sind die Zutaten für das richtige Leben: Nähe, Solidarität, Freundschaft mit Gott und Freundschaft mit den Menschen. Aus ihnen ist auch das Brot gemacht, von dem Jesus spricht. Es ist ein seltsames Brot. Es sättigt ohne satt zu machen. Zwar stillt es den Lebenshunger, die Suche nach Sinn und Werten. Doch der Hunger nach Gerechtigkeit bleibt. Diese Welt, sie ist noch unerlöst und sie bleibt es, solange noch ein Mensch auf dieser Welt an Hunger stirbt, solange noch eine Frau diskriminiert ist, solange noch ein Kind misshandelt wird, solange noch eine Familie von Abschiebung bedroht ist – solange gibt es für uns keinen Grund, uns satt zurück zu lehnen.
Adorno hat Recht: Es gibt kein richtiges Leben im Falschen, aber es gibt die Hoffnung auf dieses richtige Leben. Von Ostern her strahlt es in unsere Tage. Hier sehen wir es nur gebrochen, gekreuzigt eben. Vielleicht gibt es das richtige Leben nur als Fragment, als Bruchstück, als ein Teil. Nicht mehr! Aber auch nicht weniger!
Also lasst uns hoffen!
Amen.