Wohlan, es ist noch eine kleine Weile, so soll der Libanon fruchtbares Land werden, und was jetzt fruchtbares Land ist, soll wie ein Wald werden. Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen; und die Elenden werden wieder Freude haben an Gott, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels. Denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den Spöttern aus sein, und es werden vertilgt werden alle, die darauf aus sind, Unheil anzurichten, welche die Leute schuldig sprechen vor Gericht und stellen dem nach, der sie zurechtweist im Tor, und beugen durch Lügen das Recht des Unschuldigen. Darum spricht Gott, der Abraham erlöst hat, zum Hause Jakob: Jakob soll nicht mehr beschämt dastehen, und sein Antlitz soll nicht mehr erblassen. Denn wenn sie sehen werden die Werke meiner Hände – seine Kinder – in ihrer Mitte, werden sie meinen Namen heiligen; sie werden den Heiligen Jakobs heiligen und den Gott Israels fürchten. Und die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen, und die, welche murren, werden sich belehren lassen.
„Alles wird gut!“ Alles wird gut – diese Worte sind berühmt. Ich behaupte mal, wir kennen sie alle, ob alt oder jung, groß oder klein. Oft habe ich sie gehört, oft schon habe ich sie selbst gesagt. „Alles wird gut“ – das sind Worte, die trösten wollen. Sie trösten das kleine Mädchen, das gerade beim Spielen auf die Knie gefallen ist und nun herzzerreißend weint. Die Mutter kommt und weiß: Der Schmerz wird vergehen, die Wunde wird heilen. Sie tröstet die Kleine und sagt mit großer Zuversicht: Alles wird gut.
Diese Worte können auch trösten, wenn eine Beziehung zerbrochen ist, wenn das Vertrauen zerstört ist, die Liebe nicht mehr trägt. Ein gebrochenes Herz, tief verletzt. Und dann kommt ein Freund vorbei. Er hört zu, teilt die Verletzungen und die Tränen und sagt: Kopf hoch! Du kommst darüber hinweg. Alles wird gut!
Menschen brauchen Trost! Unser Leben ist sehr zerbrechlich, das erfahren wir immer wieder. Natürlich, es gibt gute Zeiten, unbeschwert und leicht, in denen ich die Abendsonne genießen kann, das Rauschen der Blätter, die Nähe einer Freundin. Momente, in denen ich mit mir und der Welt im Reinen bin, glücklich.
Aber zum Leben gehören eben auch die Krisen, so unterschiedlich sie auch sind. Nicht nur aufgeschlagene Knie und gebrochene Herzen. Auch eine schwere Krankheit, der Verlust des Arbeitsplatzes oder der Tod eines nahen Menschen gehört dazu. In solchen Situationen brauchen wir Trost einen Halt, jemanden, der mich tröstet, die mir sagt: Alles wird gut.
Aber Vorsicht: Dieser Trost kann allerdings auch schnell umschlagen in Vertröstung. Es ist ein schmaler Grat. Man kann diese Worte auch einfach so dahersagen. Auch nur, weil einem nichts anderes einfällt. Hilflos zieht man dann die Schultern hoch und seufzt: „Das wird schon wieder. Irgendwie. Mach dir nichts draus.“ Dahinter steckt ist eine Mentalität, die ein ehemaliger Frankfurter Fußballtrainer geprägt hat mit dem Spruch: „Lebbe gehd weider! (Das Leben geht weiter!)“
Das ist nicht immer hilfreich, wenn ich geknickt bin. Es gibt Momente, in denen das Leben erstmal nicht so weiter geht. Dann geht es mir zu schnell, ich kann nicht einfach wieder gleich nach vorn blicken. „Das wird schon wieder.“ Das können auch Worte sein, die meine Krise nicht ernst nehmen, die mich dazu überreden wollen, wieder zu Tagesordnung überzugehen, meine Situation zu verdrängen, mich abzulenken. Dadurch aber ändert sich auch nichts. Das ist kein Trost. Das ist eher Vertröstung.
Von so einer Vertröstung ist der Predigttext weit entfernt. Zwar sagt Jesaja dem Volk Israel, dem „Hause Jakobs“ durch seine Prophezeiungen, dass alles gut wird. Aber dass die Gehörlosen das Wort Gottes hören und die Blinden aus ihrer Dunkelheit heraus sehen werden, dass Elende wieder Freude haben und die Ärmsten wieder fröhlich sind – das ist mehr. Das ist die Verheißung, dass sich radikal etwas ändert, ja es ist die Verheißung einer neuen, heilen Welt!
Wir können nicht mehr ganz genau sagen, in welcher Situation diese Worte entstanden sind und wann sie aufgeschrieben wurden. Aber sie sagen uns etwas über die Zustände von damals: Von Tyrannen ist da die Rede und von Spöttern, die Unheil anrichten. Die anderen Menschen das Leben schwer machen und das Recht beugen. Korruption und himmelschreiende Ungerechtigkeit im Lande. Das alles zählt Jesaja auf, er benennt das Unrecht. Und gerade dadurch spricht er ihnen Trost zu, den Elenden und Ärmsten, die unter den Verhältnissen leiden. Ihnen sagt er: Alles wird gut, alles wird heil. Das ist ein echter Trost! Denn so ein Trost will helfen, die Umstände zu überwinden, will Mut machen, die Dinge zu verändern und sie nicht einfach auszuhalten. Der Trost bekommt hier eine enorme Kraft.
„Alles wird gut, alles wird heil!“ „Heil“ – dieses Wort hat im Laufe der deutschen Geschichte seine positive Bedeutung verloren. Zu Recht. Es diente als Gruß für den Diktator, den Führer, der einen ganzen Kontinent ins Verderben geführt hat. Heil sieht anders aus! Wenn etwas heil ist, dann ist es ganz. Makellos. „Oma, mach mir das Auto wieder heil“ fordert der Enkel keck und hält ihr das Spielzeug hin – in der Hoffnung, dass sie es wieder repariert, ganz macht.
Dass etwas wirklich heil ist, ganz ist, das finde ich in meinem brüchigen Leben nur sehr selten – und vielleicht habe ich deshalb so eine große Sehnsucht danach. Vielleicht ist es so zu erklären, dass in der Bibel „Heil“ oft mit „Heilig“ verbunden wird, mit Gott, dem „Heiligen Jakobs“. Bei Gott wird alles heil – das ist die jüdisch-christliche Hoffnung.
Aus dieser Hoffnung heraus entstand der Predigttext. „Alles wird heil, alles wird gut.“ Das Jesaiawort ist kein leeres Versprechen, es vertröstet nicht auf das Jenseits, auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. Es findet sich nicht ab mit der Ungerechtigkeit, unter der Menschen leben und leiden.
Und vor allem: Gott findet sich nicht ab! Gott ist nicht bereit, eine solche Situation zu akzeptieren! Das können wir direkt im Predigttext spüren! Es passiert mitten drin! Aus Jesajas Worten wird eine glühende Gottesrede. Plötzlich heißt es: „Darum spricht Gott zum Hause Jakob: Jakob soll nicht mehr beschämt dastehen und sein Antlitz soll nicht mehr erblassen.“
Gott will eine heile Welt. Es liegt wohl an Gottes Vorliebe für die Unterdrückten, die Geprellten und Enttäuschten, dass Gott immer wieder für sie Partei ergreift. Voll Leidenschaft. Und Gott tröstet sie mit einer radikalen Verheißung. Es wird ein Ende haben mit den Tyrannen. Die Spötter werden umkehren, ihr Unrecht erkennen und sich belehren lassen. Alles wird gut.
Was für ein Trost! Die Bibel ist voll davon. Gott tröstet die Menschen in ihrem brüchigen und bedrohten Leben. Die Botschaft der Bibel von einer neuen Welt lenkt unseren Blick in die Zukunft. Das Reich Gottes wird kommen. Es ist noch nicht da. Noch gibt es Blinde und Taube, Unterdrückte und Diskriminierte, Trauernde und Geknickte. Das „Heil“ steht noch aus. „Noch eine kleine Weile“. Es ist noch Zukunftsmusik. Aber gerade darum geht es: nur wer diese Zukunftsmusik hört, weiß, dass sie bereits begonnen hat. Sie wird zur Begleitmusik des Jetzt, im Hier und Heute.
Wo immer für Menschen gekämpft und gelitten wird, für ihre Freiheit, für ihre Rechte, auch für ihre Trauer und ihre Würde, da ist Gott mit von der Partie! Da kann ich diese Zukunftsmusik hören. Es ist eine trostreiche Melodie, die Mut macht und Kraft gibt zur Veränderung: Alles wird gut.
Amen.
Ein Gedanke zu “„Alles wird gut“ (Jesaja 29,17-24)”