Heute am Gründonnerstag wird in den Kirchen an die Einsetzung des Abendmahls erinnert, an jene Nacht, in der Jesus mit seinen Freunden Abschied gefeiert hat, die Nacht in der verraten und an seine Gegner ausgeliefert wurde.
Die drei Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas berichten uns vom Abendmahl, von Kelch und Brot mit den vertrauten Worten. Aber im Predigttext für heute Abend kommt das alles nicht vor. Stattdessen erzählt das Johannesevangelium eine andere Geschichte von jenem Abend, an dem Jesus zum letzten Mal mit seinen Freundinnen und Freunden zusammen war. Hören wir diese Geschichte:
Vor dem Passafest aber erkannte Jesus, dass seine Stunde gekommen war, dass er aus dieser Welt ginge zum Vater; und wie er die Seinen geliebt hatte, die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende.
Und beim Abendessen, als schon der Teufel dem Judas, Simons Sohn, dem Iskariot, ins Herz gegeben hatte, ihn zu verraten, Jesus aber wusste, dass ihm der Vater alles in seine Hände gegeben hatte und dass er von Gott gekommen war und zu Gott ging, da stand er vom Mahl auf, legte sein Obergewand ab und nahm einen Schurz und umgürtete sich. Danach goss er Wasser in ein Becken, fing an, den Jüngern die Füße zu waschen, und trocknete sie mit dem Schurz, mit dem er umgürtet war.
Da kam er zu Simon Petrus; der sprach zu ihm: Herr, solltest du mir die Füße waschen? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Was ich tue, das verstehst du jetzt nicht; du wirst es aber hernach erfahren. Da sprach Petrus zu ihm: Nimmermehr sollst du mir die Füße waschen! Jesus antwortete ihm: Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil an mir. Spricht zu ihm Simon Petrus: Herr, nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt! Spricht Jesus zu ihm: Wer gewaschen ist, bedarf nichts, als dass ihm die Füße gewaschen werden; denn er ist ganz rein. Und ihr seid rein, aber nicht alle. Denn er kannte seinen Verräter; darum sprach er: Ihr seid nicht alle rein.
Als er nun ihre Füße gewaschen hatte, nahm er seine Kleider und setzte sich wieder nieder und sprach zu ihnen: Wisst ihr, was ich euch getan habe? Ihr nennt mich Meister und Herr und sagt es mit Recht, denn ich bin’s auch. Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt auch ihr euch untereinander die Füße waschen. Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe.
Mit den Frauen und Männern, mit denen Jesus unterwegs war, verbringt er den Abend vor dem Passahfest. Sie feiern nach altem Brauch, so ähnlich wie es heute noch unter jüdischen Menschen üblich ist. Sie feiern und gedenken dabei der Befreiung Israels aus der Sklaverei in Ägypten.
Doch dieser Abend ist besonders. An diesem Abend erkennt Jesus, dass „seine Stunde gekommen ist“. Bei Johannes finden wir aber nicht jene traurige Abschiedsstimmung, die in den anderen Evangelien den Abend prägt. In der Theologie des Johannesevangeliums erleidet Jesus den Kreuzestod zum Triumph, die tiefste Erniedrigung wird zur Erhöhung des Sohnes. Deshalb wird er morgen an Karfreitag am Kreuz auch nicht klagen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Nein, bei Johannes sagt Jesus am Ende nur noch drei Worte: „Es ist vollbracht“.
Und so heißt es hier im Predigttext: Jesus wusste, „dass er von Gott gekommen war und zu Gott ging“. Keine Spur von Angst oder Trauer. Und genau dieser Jesus verändert plötzlich und unerwartet das Passahmahl! Mitten in der Feier steht er auf, bindet sich eine Schürze um und kniet sich hin. Er wäscht „den Seinen“ die Füße.
In einer Zeit, in der die Menschen meistens barfuß gingen, war eine solche Fußwaschung eine sehr erniedrigende Aufgabe. Sie wurde ausgeübt gegenüber einem Gast, dem Vater oder Lehrer – im wörtlichen Sinne eine Drecksarbeit, die entweder Sklavinnen oder Sklaven bzw. die Hausfrau übernehmen mussten. Und zugleich stelle ich es mir sehr intim vor, die Füße eines anderen, womöglich eines fremden Menschen zu berühren, sie zu waschen und trocken zu reiben. Wer von uns es schon einmal erlebt hat, dass ihm oder ihr die Füße gewaschen werden, sei es z.B. bei der Pflege, weiß, dass es auch ein bisschen unangenehm sein kann. Intimität ist nicht immer schön.
Erniedrigend und intim – diesen Sklavendienst tut Jesus nun selbst: Zur Überraschung aller wäscht er den Anwesenden die Füße. Aber es geschieht zu einem Zeitpunkt, da es eigentlich nicht üblich war. Die Feier war schon vorangeschritten, man hat gegessen und getrunken. Also wäscht Jesus nicht die Füße um sie vom Straßenstaub und Dreck zu reinigen. Er macht es aus zwei anderen Gründen, die der Text nennt: Die Fußwaschung geschieht zum Zeichen und als Beispiel. Als Zeichen dafür, dass die anderen teilhaben an ihm und als Beispiel für den Umgang miteinander.
„Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Teil an mir“, sagt Jesus. Was tun wir Menschen nicht alles in dieser Welt, wenn wir an irgendetwas Anteil haben wollen, wenn wir ein „Stück vom Kuchen“ abhaben wollen! Egal ob Geld, Anerkennung oder Zuwendung – wir müssen es uns verdienen, uns kümmern, schließlich wird einem ja nichts geschenkt! In der so genannten „freien“ Wirtschaft ist das ganz einfach: Wer Anteil an einer Firma haben will, und damit an ihren Gewinnen oder Verlusten, muss eigenes Kapital mitbringen und sich dort einkaufen. Wenn man viel Geld hat, kann man sogar Mehrheitsanteile bekommen und mitreden. Oder man wird „Stiller Teilhaber“, bleibt im Hintergrund.
Wie verschieden die Wege auch sind – um einen Anteil zu bekommen muss man sich bemühen, muss man investieren und aktiv sein. Es kommt eben darauf an, was ich schon habe oder wer ich bin, wie viel Kraft ich aufbringen kann und wie sehr ich mich engagieren will, um einen Teil zu bekommen. Doch wie können wir teilhaben an Jesus, dem Gesandten Gottes? An seiner Botschaft von Gottes Liebe? An seiner Vision von einem kommenden Reich, in dem es keine Tränen mehr geben wird, keine Ungerechtigkeit, keinen Tod und keinen Hass? Was können wir tun, wie können wir da bloß aktiv werden, uns unseren Anteil nehmen? Erkaufen?
In der Geschichte mit der Fußwaschung gibt Jesus selbst eine klare und einfach Antwort: „Wenn ich dich nicht wasche, so hast du keinen Teil an mir.“ Jesus will uns Anteil geben. Mehr noch, er schenkt sich selbst. Und wir sind dabei nur die Beschenkten, die Empfangenden – so wie die Jüngerinnen und Jünger in der Geschichte. Das ist für mich ein ganz entscheidender Punkt in der Passionsgeschichte: Wir Menschen brauchen uns nicht darum zu sorgen, wie wir zu Gott gelangen, wie wir Gott nahe kommen können. Denn in der Person Jesu, seinem Wirken, Leiden und Sterben ist Gott uns Menschen schon nahe gekommen.
Und so lässt Gott uns durch Jesus Anteil haben an sich. Gott schenkt sich uns in diesem Gegenüber, offen und liebevoll. Mit einer vorsichtigen Berührung, einer entwürdigenden und doch zugleich intimen Geste, wie sie bei der Fußwaschung geschieht. Es ist eine ur-evangelische Einsicht: Nicht von uns selbst aus, nicht aktiv können wir Anteil haben an Gott. Durch Jesus sind wir Teilhaberinnen und Teilhaber Gottes geworden – oder mit anderen Worten: Kinder Gottes.
Doch damit nicht genug! In der Geschichte gibt es noch einen anderen Grund, warum Jesus allen die Füße wäscht. Er tut es nicht nur zum Zeichen des geschenkten Anteils, sondern auch als Beispiel für den Umgang miteinander. „Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt auch ihr euch untereinander die Füße waschen.“ Die Teilhabe an Jesus stiftet Gemeinschaft, ja sie führt Menschen zusammen. Wer zu „den Seinen“ gehört, kann nicht allein bleiben auf dieser Welt. Nicht so wie die Teilhaber an einer Firma, die nur ihren persönlichen Gewinn im Blick haben und versuchen, für sich den größten möglichen Vorteil zu erreichen.
Nein, als Teilhaberinnen und Teilhaber Jesu bekommen wir zwar ganz persönlich unseren Anteil geschenkt, aber wir können ihn nicht für uns behalten, können uns nicht abwenden von unseren Mitmenschen. Jesus gibt uns ein Beispiel. Es ist ein Beispiel dafür, wie „die Seinen“ – also nicht nur die zwölf Jünger, sondern alle Gläubigen – einander begegnen sollen: In Liebe und Solidarität, aber auch in sozialer Gleichheit. In der christlichen Gemeinde ist kein Platz für strenge Hierarchien, feste Rangordnungen, in denen wenige das Sagen haben über viele. Nicht nur Petrus, der später groß raus kommt, bekommt die Füße gewaschen, nein, alle haben gleichen Anteil, alle haben das Recht und die Pflicht füreinander zu sorgen. Sogar der Verräter aus den eigenen Reihen gehört dazu.
Jesus schenkt sich selbst. Und damit schenkt er uns allen die nötige Kraft, damit wir ausbrechen aus dem Kreislauf dieser Welt, die auf Herrschen und beherrscht werden ausgerichtet ist, auf das Kleinmachen anderer damit man selbst dadurch groß wird. Und wenn Menschen an Jesus Anteil haben, wenn sie seiner Botschaft von der Liebe Gottes vertrauen, dann können sie diesen Kreislauf durchbrechen. Dann können wir miteinander liebevoll und fürsorglich umgehen, dann können wir aneinander Anteil nehmen.
Das gegenseitige „Dienen“, wie es Jesus in der Geschichte von der Fußwaschung nennt, muss dabei nicht spektakulär sein: Wer in Gedanken bei einer kranken Nachbarin ist, sich sorgt um einen einsamen Freund oder auch nur mal 10 Minuten am Bett der dementen Großmutter sitzt und die Hand hält, der hat schon Anteil genommen am Schicksal anderer und folgt so dem Beispiel Jesu.
In der Geschichte von der Fußwaschung stellt uns Johannes vor Augen, was sich durch Jesus an unserem Leben und an unserer Gemeinschaft verändert hat. Er stellt uns die Art zu leben vor Augen, die anderen Raum lässt und sie annimmt. Dazu brauchen wir den Anteil, den Jesus uns schenkt, Anteil an Gott. Wenn wir gleich miteinander Abendmahl feiern, dann erinnern wir uns an dieses Geschenk, diese Zusage. Sie ist die Stärkung auf dem Weg, den Gott uns führen wird – in den kommenden Tagen und unser ganzes Leben lang.
Amen.