Es ist vollbracht. Der Heilige Abend liegt nun hinter uns. Das Essen war lecker und wie immer ein bisschen zu üppig. Die Gemeinschaft, das Wiedersehen in der Familie nach langer Zeit hat gut getan. Geschenke haben für glückliche Gesichter und auch für kleine Enttäuschungen gesorgt. Bekannte Lieder und die alte, vertraute Geschichte von der Geburt Jesu. Heilig Abend ist vorbei. Nun sind wir in der Heiligen Nacht.
Schon lange konnten wir uns auf das Fest vorbereiten – ob wir wollten oder nicht. Die ersten Lebkuchen haben schon im September die Weihnachtszeit angekündigt. Freche Vorboten einer nicht nur von den Kindern heiß erwarteten Zeit. In den letzten Wochen bestimmten die Weihnachtsmärkte das Stadtbild, wie auch hier vor der Edelhofkapelle. Volle Geschäfte, überfüllte Straßenbahnen. All das sind Begleiterscheinungen der Adventszeit ebenso wie Glühweinduft und gebrannte Mandeln. Dem kann man nur schwer entgehen.
Irgendwann fiel mir dann die Werbung das erste Mal auf, an einer Bushaltestelle in der List. Der Slogan hat mich gleich angesprochen: „Weihnachten wird unterm Baum entschieden!“ Dazu waren großflächig glückliche Gesichter und leuchtende Augen abgebildet.
Ja, wie wahr. Weihnachten wird unterm Baum entschieden. An Weihnachten wird etwas entschieden für uns Menschen. Da entscheidet sich etwas für uns, nein, nicht etwas, sondern jemand. Gott entscheidet sich für uns. Gott kommt zu uns, wird Mensch, ein kleines, schutzloses Wesen, das einmal groß Geschichte schreiben wird.
Doch das Plakat an der Bushaltestelle hatte einen ganz anderen Hintergrund: Ein Elektromarkt hatte da für sich geworben. Die Botschaft wurde auf den zweiten Blick klar: Mit möglichst teurer Unterhaltungselektronik sollen wir an Weihnachten die Gunst unserer Lieben gewinnen. Der heimliche Wettkampf, wer das tollste Geschenk hat und damit die anderen am meisten glücklich macht, wird bei der Bescherung unter dem Baum entschieden.
Eine gelungene Werbekampagne, besonders wenn man die Reaktionen bedenkt, die sie hervorgerufen hat. Boykottaufrufe aus besonders christlichen Kreisen, auch bei verschiedenen Netzwerken im Internet gab es Protest. Weihnachten gehe nun endgültig unter, an seine Stelle würden Konsum und Kommerz treten. Die kirchliche Kritik hielt sich in Grenzen. Ist halt doch nur eine Werbung von vielen, die mit dem Weihnachtsgeschäft noch einmal ordentlich den Umsatz ankurbeln will am Ende eines weiteren Krisenjahrs.
Und der liebe Gott? Ich bin mir gar nicht so sicher, ob ihm die Werbung nicht sogar gefallen hat. Denn eigentlich hat der Elektronikmarkt schon allein mit dem Spruch Reklame für Gottes Sache gemacht. Für seine Mission, bei der sich an Weihnachten tatsächlich etwas entscheidet.
Gott wird Mensch. Mit dem Jesuskind in der Krippe, die in vielen Familien ja „unterm Baum“ steht, mit dem Kind kommt der Gottessohn.
Er kommt weniger für die Reichen und Wohlhabenden, die sich all den technischen Firlefanz leisten können. Sondern mehr für die Armen und Einflusslosen, in deren Mitte er geboren wird.
Er kommt weniger für diejenigen, die sich sowieso alle Wünsch erfüllen und den Geschenke-Wettbewerb gewinnen. Sondern mehr für diejenigen, deren Wünsche womöglich unerfüllt bleiben.
Er kommt vor allem für diejenigen, die nicht im Kreise der Familie ausgelassen feiern können. Die sich kein teures Essen leisten können und vielleicht allein sind heute Abend, oder einsam miteinander am Tisch sitzen.
Er kommt zu denen, für die in diesem Jahr ein Traum zerbrochen ist. Die vielleicht vor den Trümmern einer Beziehung stehen oder einen lieben Menschen verloren haben.
Er kommt zu denen, die sich sehnlichst ein Kind wünschen, ohne dass es klappt.
Er kommt zu denen, die um politische Freiheit ringen, die auf die Straßen gehen in Zeiten des Umsturzes.
Er kommt zu allen, die „im Finstern wandeln“ und in ihrem ganz eigenen „finstern Lande wohnen“.
Der Gottessohn kommt und bringt Freiheit. Er befreit uns aus dem Wahn des Machbaren, der Vorstellung, dass wir alles selbst in der Hand haben und alles von uns abhängt.
Wer ihm begegnet, erkennt, wie verletzlich wir eigentlich sind, wie zerbrechlich am Ende alles ist, was wir haben und besitzen, was wir bauen und kaufen können. Schon als Neugeborenes, in der Heiligen Nacht entfaltet der Gottessohn seine befreiende Wirkung. Zuerst die Hirten: sie verlieren ihr soziales Stigma, mit dem die Gesellschaft sie ausgrenzt. Dann gleich die drei Weisen aus dem Morgenland, drei Könige vielleicht. Auch sie machen diese Erfahrung: Nicht ihr Reichtum, ihre Weisheit oder ihr Einfluss zählen. Auch sie sind Menschen, deren Leben von weit mehr abhängt als von teueren Geschenken.
Das Kind in der Krippe, unterm Baum, es wird auf seinem Weg durch diese Welt eine Spur der Freiheit hinterlassen. Gelähmte werden wieder beweglich, stumm Gemachte finden Gehör und diejenigen, die durch ihre Selbstgefälligkeit und Eitelkeit blind geworden sind, sie lernen, die Welt mit neuen Augen zu sehen. In der Begegnung mit dem Gottessohn erkennen sie alle, was wirklich zählt im Leben: Gott lieben und den nächsten wie sich selbst. Solidarität und Nähe, Freiheit und Gerechtigkeit, unaufdringlich und doch überzeugend.
Ein solches Leben in Freiheit ist für die Mächtigen in den Konzernzentralen und an den Hebeln der Politik gefährlich. Und so führt die Spur Jesu von Bethlehem unweigerlich nach Golgatha. Ja, der Blick auf die Krippe unterm Baum weitet sich, und ruht schließlich auf dem Kreuz. Krippe und Kreuz, sie sind unmittelbar auf einander bezogen.
Anfang und Ende gehören zusammen: Der in Armut geboren wurde, als Migrant erst auf der Durchreise und wenig später mit den Eltern auf der Flucht, er stirbt am Kreuz einen schändlichen Tod. Es ist die Konsequenz seiner Freiheit. Er stirbt den Tod der Menschen und kommt uns damit so nah, wie es nur irgendwie geht. Und weil er dem Tod nicht ausweicht, eröffnet er uns Menschen eine Zukunft, die jenseits aller unserer Vorstellungen liegt.
Was uns zu Christinnen und Christen macht, ist diese unbelehrbare Hoffnung, dass der Tod nicht mehr das letzte Wort hat. Dass die Dunkelheit ein Ende hat und nichts uns von Gott als Quelle der Freiheit trennen kann. Das Kind in der Krippe ist zugleich der Gekreuzigte und der Gekreuzigte ist der Auferstandene, mit dem das Reich Gottes anbricht.
So wird das Kreuz vom Symbol des Todes zu einem Baum des Lebens. Und insofern hat die umstrittene Werbung in ihrer Aussage recht:
Weihnachten wird unterm Baum entschieden. Aber vielleicht ein bisschen treffender: Unsere Zukunft, wird nicht nur unterm Baum entschieden: Unser Leben wird am Baum entschieden, am Baum des Lebens.
„Zum Himmel wird uns ein Kind und was verloren und verlassen, wird in seiner Hand gehalten.“
Amen.