Sonntagmorgen in Deutschland: An vielen Orten wird jetzt Gottesdienst gefeiert. Nicht nur in Immensen, auch in Lehrte, Steinwedel, ja sogar in Arpke. Überall sind Menschen wie wir heute Morgen aus dem Haus gegangen, ungefährdet. Haben uns in den Kirchen versammelt, singen, beten, hören Gottes Wort und feiern Gemeinschaft. Ohne Zwischenfälle, ohne Gefahr.
Das, was man für selbstverständlich halten könnte, ist leider nicht überall auf der Welt so. Ehrlich gesagt, ist es in vielen Gegenden unseres Planeten eher die Ausnahme. Ja, auch im 21. Jahrhundert gibt es Länder, in denen Christinnen und Christen ziemlich viel riskieren, um Gottesdienst zu feiern, geschweige denn offen ihren Glauben zu leben.
Und das geht nicht nur Menschen mit einem christlichen Bekenntnis so. Jüdinnen und Juden haben ja schon seit vielen Jahrhunderten einen schweren Stand mit ihrem Glauben, aber auch Muslime sind betroffen, Buddhisten oder Hindus.
Mittlerweile gibt es schon zahlreiche Berichte und Untersuchungen über den Stand der „Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit“, so heißt dieses internationale Menschenrecht offiziell. Und – man möchte fast schon sagen: natürlich – erfahren Anhängerinnen und Anhänger der größten Weltreligion auch die stärksten Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit.
Das Christentum hat weltweit die meisten Gläubigen und so verwundert es nicht, dass Glaubensgeschwister in zahlreichen Ländern von Nigeria bis zu den Philippinen, von Algerien bis China und eben auch in Zentralasien bedrängt und verfolgt werden.
Natürlich sollen sich Christinnen und Christen nicht nur für ihresgleichen einsetzen. Wer Jesus nachfolgen möchte, ja wer von Gottes Geist bewegt wird, der schaut auf alle Menschen, denen Unrecht erleiden. Ganz egal, ob christlich oder jüdisch, muslimisch oder buddhistisch, Zeugen Jehovas oder Mormonen.
Und doch, einmal im Kirchenjahr, da wird allen evangelischen Gemeinden hierzulande empfohlen, ausdrücklich an die christlichen Kirchen zu erinnern, die nicht das Privileg haben, in einem relativ sicheren, stabilen und wohlhabenden Land zu wohnen wie wir. Das passiert immer am 2. Sonntag der Passionszeit, am Sonntag Reminiszere. Das passiert heute, hier.
Hören wir auf den von der Evangelischen Kirche in Deutschland vorgeschlagenen Predigttext aus dem 2. Thessalonicherbrief: Schon bei den ersten Christen gab es Menschen und Mächte, denen die junge Kirche mit ihren aktiven Gemeindegliedern (und auch das Evangelium selber) ein Dorn im Auge waren. Hören wir deshalb, was Paulus der Gemeinde von Thessaloniki in Griechenland schreibt:
Brüder und Schwestern, betet für uns, dass das Wort des Herrn laufe und gepriesen werde wie bei euch und dass wir gerettet werden vor falschen und bösen Menschen; denn der Glaube ist nicht jedermanns Ding. Aber der Herr ist treu; der wird euch stärken und bewahren vor dem Bösen. Wir haben aber das Vertrauen zu euch in dem Herrn, dass ihr tut und tun werdet, was wir gebieten. Der Herr aber richte eure Herzen aus auf die Liebe Gottes und auf das Warten auf Christus.
Es war für die erste Generation an Christinnen und Christen eine alltägliche Erfahrung, dass sie abgelehnt und angefeindet wurden. Wer sich zu Jesus Christus als dem Heiland und Gottes Sohn bekannte, hatte auch damals nicht viel zu lachen. Denn das Evangelium wurde meist nicht begeistert aufgenommen. Der Glaube – so heißt es im Predigttext – ist nicht jedermanns Ding!
So ist das auch heute in den Ländern Zentralasiens: Die Regierungen dort versuchen die Gesellschaft auf allen Ebenen zu kontrollieren, Politik, Wirtschaft, die Medien und auch die religiösen Gemeinschaften, zu denen die kleinen christlichen Kirchen gehören.
Wer die Autorität der Mächtigen in diesen Ländern in Frage stellt, macht sich verdächtig und wird beobachtet. Wenn z.B. christliche Gemeinden sich nicht staatlich registrieren lassen, wie es in allen Staaten Zentralasiens vorgeschrieben ist, dann droht Ärger.
Dabei muss man noch nicht einmal auf die biblische Forderung verweisen, man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen. Denn manche Staaten verlangen für die Registrierung und damit für die Zulassung als Gemeinde eine Mindestzahl von 50 Gemeindemitgliedern – manche sogar 200. Diese Auflage erfüllen viele Gemeinden nicht. Sie sind einfach zu klein.
Die Regierungen in Usbekistan, Tadschikistan, Kasachstan oder Kirgisistan etwa führen Razzien durch, überwachen oder deportieren gar Gemeindeglieder. Den Geistlichen drohen Gefängnis- und Geldstrafen, um die staatliche Kontrolle sicherzustellen. Aus diesem staatlichen Misstrauen heraus sind in ganz Zentralasien weder Meinungs-, Versammlungs- noch Religionsfreiheit gewährleistet.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion hatten die Kirchen in den späten 80er und den frühen 90er Jahren etwas mehr Freiheit, aber seit Mitte der 90er Jahre wachsen die Restriktionen wieder – oftmals begründet mit der „Terrorbekämpfung“. Im usbekischen Taschkent gab es schon 1999 Bombenanschläge, bei denen man bis heute nicht weiß, wer dahinter steckte. Und im Juni letzten Jahres wurde in Kasachstan ein Stützpunkt der Nationalgarde angegriffen.
Deshalb wird nun jede Gruppe, die in den Augen der Regierung dem Staat kritisch gegenüber steht, streng überwacht – egal ob es Gewerkschaften, Medien, Parteien oder auch die kleinen christlichen Gemeinden sind.
Es sind in der Region vor allem Baptisten, die immer wieder Geldstrafen zahlen müssen, wenn sie sich unerlaubt – also nicht angemeldet – in Hauskreisen treffen. Wer sich weigert zu zahlen, kommt für einige Tage ins Gefängnis.
Es gibt in manchen dieser Länder auch Gesetze, die Kinder von religiösen Festen fernhalten sollen. Wer noch nicht 18 ist, braucht deshalb eine schriftliche Erlaubnis, um an dem jeweiligen Fest teilnehmen zu dürfen. Christen, die keine zentralasiatischen Wurzeln haben, sind immer öfter der Feindseligkeit durch ihre Nachbarn ausgesetzt.
So kam es zum Beispiel in Kirgisistan zu Ausschreitungen als Dorfbewohner Christen verboten, Angehörige in ihren Heimatdörfern zu bestatten. Als man auf die Christen mit Spaten losgegangen ist, unternahm die zuschauende Polizei nichts dagegen.
Misstrauen und Widerstand gegen christliche Gemeinden – damals, zu Paulus Zeiten, und heute, im 21. Jahrhundert. Eben weil die Gemeinden schon in der frühen Christenheit von der Gesellschaft und von den Herrschenden kritisch beäugt wurden, fordert Paulus die Gläubigen in Thessaloniki auf:
Betet für uns, dass des Wort des Herrn laufe und gepriesen werde wie bei euch und dass wir gerettet werden vor falschen und bösen Menschen.
Aus den Händen dieser falschen und bösen Menschen mussten damals die Gläubigen gerettet und bewahrt werden. Deshalb war das Gebet der Gemeinden für sie so wichtig.
Wir wissen von christlichen Brüdern und Schwestern aus aller Welt, die in ihrer Heimat unter Druck stehen: Das Wichtigste, was wir für sie tun können, ist, für sie zu beten. Zu beten um die Kraft, dass sie bei aller Bedrängnis und Verfolgung ihren christlichen Glauben nicht aufgeben
Auch an uns geht die Bitte, die mir Jamil, ein Christ aus Aleppo, bei einer Begegnung ans Herz gelegt hat: Betet für uns!
Es geschah im Rahmen einer Delegationsreise in den Libanon. Wir besuchten Flüchtlingslager und wollten uns selbst ein Bild von der Lage vor Ort machen. Es waren schlimme Umstände und wir fragten immer wieder, was wir, die Christen aus dem reichen und sicheren Deutschland, für die Flüchtlinge aus Syrien tun könnten. Es war hochinteressant, denn da wurde nicht um Geld gebeten oder politische Initiative für ein Ende des Bürgerkriegs. Jamil kam auf uns zu und sagte nur diese Worte: Betet für uns. Pray for us. Immer wieder.
Das hat mich eine Lektion gelehrt über die Kraft des Gebets. Immer wieder fragen sich ja selbst eifrige Kirchgänger, ob das mit dem Beten wirklich etwas „bringt“. Schaden kann es zwar nicht, aber ob da echt etwas passiert, bleibt meistens offen. Zumal man ja selten direkt miterlebt, dass sich etwas durch das Gebet verändert.
Aber es verändert sich etwas. Gerade Christinnen und Christen aus den Krisenregionen dieser Welt melden uns das zurück: „Wenn ihr für uns betet, dann stärkt uns das und gibt uns die Kraft zum Durchhalten.“ Und manchmal fügen sie auch noch hinzu: „Im Gebet sind wir miteinander verbunden als Glieder am Leib Christi.“
Unsere Fürbitte hilft ihnen schon dadurch, dass wir die Verbindung mit ihnen suchen, wenn wir für sie beten. Es ist wie im Alltagsleben: Wenn Freunde oder Verwandte mir vor einer schwierigen Operation sagen: Wir denken an dich, wir beten für dich, dann weiß ich: Ich bin nicht allein, die Gedanken und Gebete der anderen tragen mich auch dann, wenn es schwierig wird im Leben.
Betet für uns… Martin Luther hat einmal gesagt, dass wir einander zum Christus werden können und sollen. Er hat es so konkretisiert: Christen, die füreinander beten, sind eitel Helfer und Heilande.
Ich finde, da ist doch etwas dran. Füreinander da sein in Gebeten und Gedanken, damit kommen wir schon dem nahe, was viele Leute als „Nachfolge“ verstehen. Wenn wir füreinander beten, und das bedeutet: wenn wir aneinander Anteil nehmen, wenn uns nicht alles egal ist, was anderen geschieht, wenn uns das Unrecht der anderen nich kalt lässt, dann folgen wir Jesus nach, dann werden wir einander zum Christus.
Denn Jesus hat sich immer wieder erweichen lassen vom Schicksal der anderen. Das Neue Testament ist voll von diesen Begegnungen, bei denen Jesus schließlich doch Anteil genommen hat. Beeindruckt von der Hartnäckigkeit manchen Frauen, berührt von der Schuldeinsicht mancher Schurken. Er hat hinter die Fassaden geschaut und dort Menschen entdeckt, die Hilfe brauchen, die angewiesen sind auf eine Hand, eine Schulter, ein offenes Herz.
Und deshalb sind unsere Gebete nicht umsonst. Generell nicht und auch nicht heute die Fürbitte für bedrängte und verfolgte Christen.
Am Ende des Predigttextes heißt es sehr schön:
Der Herr aber richte eure Herzen aus auf die Liebe Gottes und auf das Warten auf Christus.
Auch das soll uns mit den verfolgten Christen verbinden. Sie und wir vertrauen auf die Liebe Gottes. Sie und wir, hier und dort, warten auf Christus. Und Geduld können wir angesichts dieser Welt mit ihren Abgründen alle gut gebrauchen, in Deutschland, in Zentralasien und an jedem anderen Winkel dieser Welt.
Amen.