Blinder Gehorsam (1. Mose 22,1-13)

Wie weit können Menschen gehen? Wozu sind sie in der Lage, wenn Sie davon überzeugt sind, dass das, was sie tun oder tun sollen, das einzig Richtige ist? Wie weit Menschen gehen und wozu sie in der Lage sind, können wir jeden Tag neu erleben. Internet sei Dank, bekommen wir es fast hautnah und manchmal sogar in Echtzeit mit:

Die Terroristen vom Islamischen Staat verbreiten Angst und Schrecken. Menschen werden hingerichtet, geschlachtet auf dem Altar der Unmenschlichkeit. Getrieben von Fanatismus – wie auch jene vermeintlichen Christen im Südsudan, die an einem blutigen Machtkampf teilnehmen, bei dem am Ende viele, sehr viele Menschen den Hungertod sterben werden. Geopfert aus blindem Hass, der nur eine Wahrheit gelten lässt.

Man könnte meinen, je stärker Menschen von sich beziehungsweise von ihrer eigenen Motivation überzeugt sind, desto schrecklicher sind die Taten, zu denen sie fähig sind. „Überzeugungstäter“ werden sie deshalb auch gerne genannt.

Auch Abraham ist so ein Überzeugungstäter. Eigentlich ist sein Gottvertrauen berühmt in der Bibel. So berühmt, dass schon der Apostel Paulus ihn als Vorbild für ein blindes Vertrauen auf Gott bezeichnet. Ja, Abraham ist der Prototyp eines Menschen, der ganz und gar auf Gott vertraut!

Da ist zum Beispiel die Geschichte, als eine göttliche Stimme Abraham herausruft aus seinem bisherigen Leben. Man darf nicht vergessen: Der Mann war schon ziemlich alt, hatte einen gewissen Wohlstand erreicht, mehrere Frauen, große Viehherden und ziemlich große Geldbestände. Er stand eigentlich kurz vor der Rente. Einziges Manko: Nachkommen null.

Und dann hört er auf den Ruf: Brich auf, geh in ein Land, das ich dir zeigen will. Und was macht der alte Herr mit knapp 75? Bricht seine Zelte ab, nimmt seinen ganzen Hausstand, also auch Dienerinnen und Diener, sein ganzes Hab und Gut und macht sich auf den Weg in die Fremde.

Das ist wohl dieses berühmte Gottvertrauen.

Und dann, unterwegs verspricht Gott ihm und seiner ebenso betagten Hauptfrau einen Sohn. Die Frau, Sara, kann nur trocken lachen, als sie die Verheißung hört, aber Abraham nimmt sie ernst. Und dann wird den beiden doch tatsächlich noch ein Kind geschenkt. Ein Nachkomme, Erbe, der Zukunft bedeutet! Das war damals so, das ist auch heute oft genug so.

Es gäbe noch viele Geschichten zu erzählen von Abraham, diesem Überzeugungstäter. Etwa wie er mit Gott darum feilscht, ob die Stadt Sodom vor der Zerstörung verschont würde, wenn sich darin noch 10 aufrichtige Menschen finden ließen. Gott geht auf Abraham ein, heute würde man sagen: Gott lässt sich von ihm „belabern“ – zum Guten, für das Leben.

Ja und dann ist da noch diese Geschichte:

Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich. Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde. Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte. Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne. Und Abraham sprach zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen. Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die beiden miteinander. Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer? Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und gingen die beiden miteinander. Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz  und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete. Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen. Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich im Gestrüpp mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes statt.
Als hätte Abraham seinen Glauben nicht schon so oft gezeigt, fordert Gott nun einen erneuten Beweis für blinden Gehorsam. Er soll seinen Isaak, den Erstgeborenen (und bis dahin sein einziges Kind) nehmen und töten. Opfern auf einem selbstgebauten Altar auf einem Berg.

Die Bibel erzählt nicht, wie es in Abraham aussieht in dieser Situation. Ob es in ihm brodelt, ob er sich fragt, was das alles soll. Ob er trauert um seinen Sohn, den er ja von Gott geschenkt bekommen hat.

Hadert er mit Gott? Wer von uns würde das nicht? Wir wissen es nicht.

Nüchtern, fast schon sachlich, wird die Geschichte erzählt. Wobei, die Erzählung wird immer langsamer. So, als würde sich das Tempo an die Schritte Abrahams anpassen, als könnte man das Schreckliche noch irgendwie hinauszögern, Zeit gewinnen, um eine andere Wendung zu ermöglichen.

Vielleicht ist euch das aufgefallen: Am Anfang wird viel zusammengefasst. Abraham hört den Auftrag und macht sich auf den Weg. So, als wäre nichts dabei. Aber im Laufe der Geschichte wird die Schilderung immer detaillierter. Ich habe fast den Eindruck, der biblische Erzähler möchte das Unvermeidliche hinauszögern.

Und dann, als Abraham das Messer erhebt, um seinem einzigen Sohn die Kehle durchzuschneiden, da fällt ihm buchstäblich ein Engel in den Arm und gebietet ihm Einhalt.

Ich habe fast den Eindruck, dass Gott selbst ein bisschen erschrocken darüber ist, wie konsequent Abraham den Auftrag ausführt. Hat er denn gar kein Gewissen? Was ist mit der Liebe für den Sohn, den der Alte so sehnlichst erwartet hatte.

Vielleicht hat Gott sich auch insgeheim gewünscht, das Abraham wieder mit ihm feilschen würde. „Bitte, nicht meinen Sohn! Nimm mich stattdessen oder all mein Vieh, meinen Besitz, was immer du willst, aber lass das Kind leben.“ Das wäre eine Reaktion gewesen, die Abraham ähnlich gesehen hätte.

Stattdessen nahm der den Sohn mit sich, auf dem Weg zum blutigen Opfer. Der alte Mann denkt gar nicht mehr drüber nach. Vielleicht hat ihn das Leben müde gemacht, vielleicht ist das Herz im Laufe der Jahre trüb geworden. Da ist nur noch der Tunnelblick, mit der einfachen Gleichung: Gott will es so, ich folge ihm blind.

Zu was sind Menschen in der Lage, wenn Sie davon überzeugt sind, das richtige zu tun? Blinder Gehorsam führt meistens in die Katastrophe. Das zeigt sich in der Geschichte unserer Welt. Und es zeigt sich in dieser Geschichte aus der Bibel ganz deutlich. Egal, bei was in unserem Leben – wenn wir blind folgen, dann machen wir nicht nur die Augen zu, dann schalten wir meistens auch unser Hirn und – noch viel schlimmer – unser Herz aus. Dann legen ich die Verantwortung für mein Tun ab. Verantwortlich ist dann Chef, der mir den Auftrag gegeben hat, oder der Lehrer, der die Aufgabe gestellt hat.

Das ist ganz praktisch und ziemlich einfach. Zugleich ist es gefährlich, und ganz sicher nicht im Sinne Gottes! Was ist das für ein Gott, der den alten Abraham so auf die Probe stellt? Warum braucht es überhaupt solche Glaubensbeweise?

Meine Fragen gehen weiter: Ist es wirklich Gott? Oder ist es nicht am Ende doch der Mensch, der sich immer wieder vergewissern muss, dass er noch richtig glaubt, ja dass er auf dem rechten Weg ist?

Wir können nur vermuten, was hinter dieser Geschichte steht. Aber ich ahne, dass Abraham bei diesem Glaubensbeweis versagt hat. Er hat versagt, weil er nicht den Verheißungen Gottes vertraut hat, die Gott ihm im Laufe seines Lebens schon erfüllt hat. Abraham hat versagt, weil er diese absolute Verachtung des menschlichen Lebens nicht hinterfragt hat. Weil er nicht gegenüber Gott Einspruch erhoben hat.

„Gott, entschuldige bitte, aber das kann nicht dein Ernst sein! Wieso forderst du meinen einzigen Sohn, den du mir ja geschenkt hat, als Zeichen deiner Verheißung, ja deines Segens für mich? Und warum brauchst du überhaupt noch einen Beweis meiner Treue? Hat es nicht gereicht, dass ich mein altes Leben hinter mir gelassen habe und mich ganz auf deine Verheißungen verlassen habe. Hat es nicht gereicht, dass ich mein Leben lang versucht habe, ein gutes, gottgefälliges Leben zu führen? Warum vertraust du mir nach all den Jahren immer noch nicht?“

Das wäre eine Reaktion gewesen, mit der Abraham gezeigt hätte, dass er Gott „fürchtet“, Gott ernst nimmt und auf seine Verheißungen vertraut.

Der Engel, der in letzter Minute eingreift, tut dies zur Schadensbegrenzung. Er zeigt ihm ein Tier, dass sich in der Nähe verfangen hat. Das soll statt des Sohnes geopfert werden. Für viele ist diese Wendung der Geschichte ein Erklärung dafür, dass der Gott der Bibel keine Menschenopfer will.

Im Tempel zu Jerusalem wird es später eine rege Opfer-Tradition geben. Da werden die unterschiedlichsten Tiere geopfert. Geschlachtet, zubereitet und gegessen. Und ein Teil der Tiere wird verbrannt. Als Anteil für Gott, von dem alles kommt. Die Tradition der Menschenopfer, die bei den Nachbarvölkern des alten Israel noch in späterer Zeit zu finden sind, werden vom Gottesvolk verpönt. Gott will keine Menschenopfer, das hat er Abraham ja auch sehr deutlich machen müssen.

Eine andere Tradition im Alten Testament geht noch weiter. Der Prophet Jesaja (Kapitel 1) wird später ein Ende aller Brandopfer fordern. Gott will keinerlei Opfer mehr, auch keine Speiseopfer. „Sie sind mit ein Gräuel“ lässt Gott Jesaja sagen. Stattdessen sollen die Menschen eine komplett andere Art von Opfern lernen: „Lasst ab vom Bösen, lernt Gutes tun, trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten.“ Ein solches Opfer gefällt Gott.

Doch zurück zu Abraham. Ich glaube tatsächlich, er hat versagt in dieser Geschichte. Ehrlich gesagt: das macht ihn auch sympathisch. Der große Stammvater Israels, das Vorbild für den Glauben, hat Gott falsch verstanden. Er hätte – wie ein Fanatiker, ein religiöser Fundamentalist – im blinden Gehorsam sogar seinen Sohn getötet, und damit seine eigene Zukunft zerstört.

Dieses Versagen hat übrigens Konsequenzen. Den Rest seines Lebens wird Gott nicht mehr direkt mit Abraham sprechen. Fortan sind es Engel, die als Boten Abraham etwas von Gott ausrichten. Es hat sich was verändert. Und das bleibt so bis Abraham selbst „alt und lebenssatt“ stirbt. Ist das ein Zeichen dafür, dass Gott Abrahams Verhalten in der Geschichte nicht gutgefunden hat?

Es bleibt für mich die Frage: Wie weit können Menschen gehen, wenn sie davon überzeugt sind, dass sie im Recht sind? Nun, auch an Abraham können wir sehen, dass sie dann zu ziemlich allem in der Lage sind! Ob das dann immer gut ist, steht auf einem anderen Blatt.

Zu was aber ist Gott in der Lage? Gott wird seinen einzigen Sohn opfern. Gott wird Jesus aber nicht selbst schlachten und ihn auf einen Opferaltar legen. Nein, Gott geht mit Jesus gemeinsam den Weg ans Kreuz. Gott stirbt mit den Tod der Menschen, um ihnen in Jesus Christus auch darin nahe zu sein. Auf dieses Geheimnis gehen wir zu, Karfreitag und Ostern sind nahe – die Feiertage, um dieses Geheimnis zu bedenken.

Amen.

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